Zum Inhalt
Interview mit TU-Rektorin Ursula Gather

„Wir haben einen gesellschaftlichen Auftrag“

Frau Gather lächelt in die Kamera. © Lutz Kampert​/​ TU Dortmund
Die Statistikerin Prof. Ursula Gather ist seit 2008 Rektorin der TU Dortmund. Ihre zweite Amtszeit endet am 31. August 2020.

Frau Gather, rückblickend auf 12 Jahre Amtszeit: Was ist die wichtigste Aufgabe des Rektorats?
Es geht in erster Linie darum, bestmögliche Bedingungen für Lehre, Studium und Forschung zu schaffen. Dazu zählt eine bedarfsgerechte Verteilung der Mittel an die Fakultäten, die wir über Jahre hinweg entwickelt haben. Um im Wettbewerb zu bestehen, ist es aber auch essenziell, die besten Köpfe zu berufen. Es ist die einzelne Professorin, der einzelne Professor, die den Erfolg einer Universität über oft dreißig Jahre hinweg gestalten. Deshalb haben wir uns im Rektorat sehr intensiv mit Berufungsangelegenheiten befasst.

In Ihrer Amtszeit ist die Zahl der Studierenden um mehr als 50 Prozent gestiegen. Studieren heute zu viele?
Die Universitäten erfüllen mit der Ausbildung von Fachkräften einen wichtigen gesellschaftlichen Auftrag. Entwicklungen wie Automatisierung und Globalisierung haben dazu geführt, dass die beruflichen Anforderungen komplexer geworden sind, sodass eine akademische Ausbildung für viele Tätigkeiten notwendig ist. Es ist wichtig, dass die Hochschulen über die nötigen Mittel verfügen, um diesen Auftrag zu erfüllen. Ich bin deshalb froh, dass die Mittel des Hochschulpakts nun endlich verstetigt werden.

Wenn immer mehr studieren, sind dann die Studienanfängerinnen und -anfänger nicht heute dümmer als früher?
Jede Generation klagt darüber, dass die nachfolgende Generation dümmer sei. Diese Behauptungen lassen sich bis in die Antike rückverfolgen, auch für Studierende (lacht). Ich denke deshalb: nein. Ich begegne sehr vielen talentierten und engagierten jungen Menschen.

Wie hat sich das Studienangebot der TU Dortmund in den vergangenen Jahren verändert?
Zu Beginn meiner Amtszeit gab es eine heftige öffentliche Debatte darüber, ob die Bologna-Reform mit der Einführung der Bachelor- und Masterabschlüsse nicht zurückgenommen werden müsste. Heute ist dieses gestufte Modell voll etabliert. Die TU Dortmund konnte dadurch auch ihr Studienangebot weiterentwickeln. Die Bachelorangebote sind stabil, hier ist uns eine möglichst grundlegende Ausbildung wichtig. Im Master hingegen wurden neue Spezialisierungsmöglichkeiten geschaffen, etwa Alternde Gesellschaften, Religion und Politik oder Econometrics. Dieses System hat auch die Durchlässigkeit zwischen Lehrerbildung und Fachwissenschaft stark befördert.

Und wie hat sich das Forschungsprofil der TU Dortmund entwickelt?
Die vier Profilbereiche in der Forschung sind seit 2006 unverändert, auch wenn sich die Begrifflichkeiten ein wenig gewandelt haben. Wir haben hier das Konzept verfolgt, Stärken zu stärken. Gleichzeitig ist es wichtig, neben etablierten Schwerpunkten auch aufstrebende Themen zu besetzen und dafür Netzwerke zu bilden, so etwa geschehen beim Kompetenzfeld Energie im Masterplan Wissenschaft Dortmund oder beim Kompetenzzentrum Maschinelles Lernen Rhein-Ruhr.

Sie haben 2016 Ihre zweite Amtszeit mit dem Ziel angetreten, die TU Dortmund unter die Top10 zu bringen. Wie sieht die Bilanz aus?
Ich habe damals das Ziel gesetzt, die TU Dortmund in Teilbereichen unter die Top10 zu bringen. Tatsächlich stehen wir besser da, als viele denken! In den drei einschlägigen internationalen Forschungsrankings THE, QS und Shanghai haben jüngst sechs Fachgebiete eine Top10-Platzierung im bundesweiten Vergleich erreicht. Im Ranking der Deutschen Forschungsgemeinschaft gehören die Ingenieurwissenschaften weiterhin zu den Top10. Das sind sehr gute Ergebnisse für eine Universität, die so jung ist wie unsere. So belegte die TU Dortmund bis zu ihrem 50. Geburtstag Ende 2018 auch Platz 3 unter den bundesdeutschen Neugründungen im Ranking Top50 under 50.

Sie sind vielfach ausgezeichnet worden für Ihr Engagement um den Wis-senschaftsstandort Dortmund. Was hat Sie dazu angetrieben?
Ich habe im Herbst 2011 die Tischrede vor der Reinoldigilde zu Dortmund gehalten mit dem Titel „Wir sind die Wissenschaftsstadt Dortmund“. Dabei wurde deutlich, dass selbst die Stadtgesellschaft sich nicht darüber bewusst war, mit welchem Pfund wir hier wuchern können: 7 Hochschulen und 20 Wissenschaftseinrichtungen, 11.000 Arbeitsplätze und 53.000 Studierende. Sich seiner eigenen Stärken bewusst zu werden, ist aber der erste Schritt, um auch nach außen einen Imagewandel zu vollziehen und die Attraktivität des Standorts zu steigern. Hier haben Stadt und Wissenschaft gemeinsame Interessen. So ist im selben Jahr auch der Masterplan Wissenschaft entstanden.

Was war ein Highlight Ihrer Amtszeit?
Ein unvergessliches Highlight war der Festakt im Konzerthaus zum 50. Geburtstag der TU Dortmund am 16. Dezember 2018. Hier hielt Donald Tusk eine bewegende Rede zum Zusammenhalt in Europa. Ein jährlich wiederkehrendes Highlight war der Kick-off im Stadion zur Begrüßung unserer Erstsemester – mal zugig und kalt, mal bei goldenem Sonnenschein. Es muss aber auch nicht immer das große Event sein. Ich habe in meiner Amtszeit viele tolle TU-Veranstaltungen, auch kleinere Konzerte der Musikensembles der Universität erlebt, die ich sehr genossen habe.

Das Motto zum Jubiläumsjahr der TU Dortmund lautete: Universitas, Freiheit, Wahrheit, Vielfalt. Was bedeutet Ihnen das persönlich?
Eine Universität ist für mich ein Ort der Freiheit, an dem Neues gedacht und ausprobiert werden kann. Ziel unserer Forschung ist der Erkenntnisgewinn – kleine Etappen auf der Suche nach der Wahrheit. Dabei lebt die Akademia vom Austausch über Grenzen hinweg, über Grenzen der Fachdisziplinen ebenso wie über Ländergrenzen. Für mich verkörpert dieses Motto all das, was mich selbst motiviert hat, Wissenschaftlerin zu werden.

Sie waren die erste Frau an der Spitze der TU Dortmund. Sie mögen es aber gar nicht, wenn man Sie danach fragt, wie Sie als Frau diese Karriere geschafft haben. Warum eigentlich nicht?
Würde man einen Mann fragen, wie er „als Mann“ seine Karriere geschafft hat? Wohl kaum. Solche Fragen zeigen, dass Frauen immer noch anders betrachtet und behandelt werden als Männer. Da darf sich weiter einiges ändern.

Was wünschen Sie Ihrem Nachfolger Manfred Bayer?
Das Amt erfordert eine Balance, gewisse Entscheidungen zentral zu treffen, aber auch Raum für freie Entfaltung zu geben. Dabei – wie für alles andere – wünsche ich ihm eine stets glückliche Hand.

Prof. Ursula Gather nahm 1986 einen Ruf an die TU Dortmund auf die Professur für Mathematische Statistik und industrielle Anwendungen an der Fakultät Statistik an. Von 1997 an war sie zwölf Jahre Sprecherin des DFG-Sonderforschungsbereichs 475 „Komplexitätsreduktion in multivariaten Datenstrukturen“. 2008 trat sie das Amt der Rektorin an. 2014 wurde Gather die Ehrenauszeichnung „Bürgerin des Ruhrgebiets“ für ihre Verdienste um die Region verliehen. 2018 honorierten die Dortmunder Kaufleute Gathers besonderes Engagement für den Wissenschaftsstandort Dortmund mit der Verleihung des City-Rings. Im selben Jahr wurde Gather für ihre herausragenden Verdienste um die Stärkung des Wissenschaftsstandorts zudem mit dem Bundesverdienstkreuz am Bande ausgezeichnet.