Wie queere Familien um Anerkennung kämpfen
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Prof. Motakef, wo stoßen LGBTQ+-Familien im Alltag immer noch auf Hürden?
Prof. Mona Motakef: Sexuelle Orientierung und Geschlechtsidentität sind immer noch zentrale Ursachen sozialer Ungleichheit und gehen mit ungleichen Handlungsmöglichkeiten und Lebenschancen einher. LGBTQ+-Personen wurde lange abgesprochen, überhaupt Familien gründen zu können. Die erste Hürde ist daher, sich selbst überhaupt als Eltern vorstellen zu können. Erst dann können sie sich Gedanken darüber machen, welche Optionen ihnen offenstehen und welche sie nutzen wollen. Denn wer wie Eltern werden kann, will, soll oder darf, hängt von rechtlichen, medizinischen, biologischen und persönlichen Faktoren ab – oft ist es sehr kompliziert und teuer, vor allem mit Reproduktionsmedizin. Auch nach der Familiengründung erleben viele rechtliche, institutionelle und alltägliche Ungleichheiten. Beispiele sind die Pflicht zur Stiefkindadoption für lesbische Paare oder fehlende Rechte für soziale Eltern in Mehrelternfamilien. Trans* Elternschaft wurde im alten Transsexuellengesetz sogar rechtlich unmöglich gemacht. Bis heute ist sie nicht eindeutig geregelt – so bleibt eine trans* Mutter in der Geburtsurkunde ihres Kindes als Vater eingetragen. Im Alltag heißt das: Familien müssen ständig beweisen, dass sie „richtige“ Familien sind.
Dr. Teschlade, in Ihrer gemeinsamen Forschung haben Sie herausgearbeitet, dass Familien „Normalität herstellen müssen“. Wie sieht das ganz konkret aus? Und was verrät uns das über den gesellschaftlichen Umgang mit Vielfalt von Familienformen?
Dr. Julia Teschlade: Normalität fällt queeren Familien nicht einfach zu – sie muss von ihnen aktiv hervorgebracht werden. Dies müssen Familien mit heterosexuellen Eltern in der Regel nicht, weil unsere Gesellschaft nach wie vor heteronormativ strukturiert ist. Ein Beispiel: Ein lesbisches Paar erzählt uns, dass sie bei ihrem Umzug mit selbstgebackenem Kuchen von Tür zu Tür ziehen. Sie agieren präventiv, da sie fürchten, dass andere Menschen abfällig über sie sprechen, weil sie nicht heterosexuell leben. Andere präsentieren sich im Gespräch mit uns geradezu als „Musterfamilie“ und verweisen auf ihre „Normalität“ – ihre geregelte Erwerbsarbeit, ihre monogame Sexualität, ihre traditionellen Werte bei der Kindererziehung. Für uns zeigt sich hier nicht eine unpolitische Anpassung an heterosexuelle Normen, sondern eine existenziell notwendige Antwort auf erlebte Ungleichheiten und Diskriminierung. Diese Herstellung von Normalität ist aufwendig und anstrengend und eine Voraussetzung dafür, das eigene Leben vor Angriffen, Abwertungen und Verletzungen zu schützen. Dieser große Aufwand wird aber meist unsichtbar gemacht.
Prof. Wimbauer, in Ihrer Arbeit sprechen Sie von vielfältigen „Kämpfen um Anerkennung“. Welche dieser Kämpfe halten Sie für besonders prägend? Inwiefern tragen sie dazu bei, rechtliche und gesellschaftliche Normalvorstellungen von Familie zu verändern?
Prof. Christine Wimbauer: Besonders prägend sind die Kämpfe um rechtliche Gleichstellung – von der „Ehe für alle“ bis zur Anerkennung von Mehrelternkonstellationen und trans* Elternschaft. Aber auch die alltäglichen Praktiken der Normalisierung können als Form eines Kampfes um Anerkennung verstanden werden. Außerdem zeigt sich auch in LGBTQ+-Familien, dass Sorge- und andere Reproduktionsarbeit je nach Geschlecht ungleich verteilt ist und oft zu wenig Anerkennung erfährt. Hier werden Geschlechterungleichheiten sichtbar, die bei heterosexuellen Paaren altbekannt sind: bei der alltäglichen Sorgearbeit, dem Mental Load und anderem mehr. Nicht zuletzt arbeiten wir in unserer Forschung die gesellschaftliche Nichtanerkennung queerer Reproduktionsarbeit heraus, die LGBTQ+-Familien angesichts der Hürden und des Mehraufwandes im Familienalltag leisten und zugleich verstecken müssen. Diese Kämpfe tragen aber wiederum dazu bei, dominante Vorstellungen von Familie zu verändern. Sie erweitern die rechtlichen und gesellschaftlichen Normalvorstellungen darüber, was Elternschaft und Familie ist und sein kann.
Neuerscheinung
Das Team um Prof. Mona Motakef, Dr. Julia Teschlade und Prof. Christine Wimbauer hat seine Forschungsergebnisse kürzlich in einem neuen Buch unter dem Titel „Auf dem Weg zur Normalität? LGBTQ+-Familien und ihr Kampf um Anerkennung“ veröffentlicht.
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