Zum Inhalt
FORSCHENDE BERICHTEN ÜBER IHREN GASTAUFENTHALT

Vom Krieg bedrohte Wissen­schaft­ler*innen forschen an der TU Dortmund

-
in
  • Campus & Kultur
  • Menschen
  • Top-Meldungen
  • Forschung
Schriftzug "Welcome" aus Buchstabenblöcken zusammengesetzt © Maks_Lab​/​AdobeStock

Die TU Dortmund bietet Wissen­schaft­ler*innen, die von dem Krieg gegen die Ukraine bedroht sind, seit Frühjahr 2022 Gastaufenthalte an. Das Hilfsprogramm wird vom Rektorat sowie der aufnehmenden Fakultät finanziert. Unter den aufgenommenen Wissen­schaft­ler*innen sind Dr. Lyudmyla Chernova, die nun an der Fakultät Wirtschaftswissenschaften arbeitet, und Prof. Valerii Kidalov, der mittlerweile an der Fakultät Physik forscht. Die beiden erzählen, was sie im vergangenen Jahr erlebt haben, wie sie an die TU Dortmund gekommen sind und was der Gastaufenthalt für sie bedeutet.

Die Universität reagierte schnell: Bereits einen Monat nach dem Angriff auf die Ukraine setzte die TU Dortmund ein Hilfsprogramm für bedrohte Wissen­schaft­ler*innen auf. Seither ermöglicht die Universität geflüchteten Forschenden, die von dem Krieg gegen die Ukraine bedroht sind, einen Gastaufenthalt an einer ihrer 17 Fakultäten. Um die Kommunikation mit den hiesigen Kolleg*innen und die Integration zu erleichtern, gehören Sprachkurse für Geflüchtete ebenfalls zum Hilfsangebot.

Dr. Lyudmyla Chernova arbeitet an der Professur Technologiemanagement

Bevor der Krieg begann, forschte Dr. Lyudmyla Chernova als Associate Professor an der National University of Shipbuilding in Mykolajiw, einer Stadt im Süden der Ukraine. Dort zu arbeiten und zu leben ist ihr nun unmöglich, denn nicht nur die Universität, sondern auch weite Teile ihrer Heimatstadt wurden durch Bombenangriffe zerstört. Auf der Suche nach Hilfsprogrammen kam die Wissenschaftlerin in Kontakt mit Prof. Tessa Flatten, Professur für Technologiemanagement. In deren Arbeitsgruppe erforscht Dr. Chernova nun, wie Kund*innen in die Neuproduktentwicklung integriert werden können. Ihr wissenschaftlicher Schwerpunkt liegt auf vorausschauender Methodik, strategischem Management sowie der Entwicklung von organisatorischen und technischen Systemen.

Dr. Lyudmyla Chernova musste zwar ihren Heimatort verlassen, in Deutschland lebt sie allerdings noch nicht – sie kann derzeit virtuell an der TU Dortmund arbeiten. Um das Team vor Ort kennenzulernen, besuchte sie Ende 2022 die Universität. Sie sagt, dass sie die deutsche Sprache schwer finde, mache in den Sprachkursen aber stetig Fortschritte. Hier lernte sie auch andere Wissen­schaft­ler*innen mit Fluchterfahrung kennen, mit denen sie eine kleine Gemeinschaft aufgebaut hat und sich austauscht.

Ihre Zukunft in der Ukraine malt sich Dr. Chernova nicht aus, denn „dort kann man gerade keine Pläne machen.“ Stattdessen würde sie gerne ihren Forschungs- und Lebensmittelpunkt sobald wie möglich nach Dortmund verlegen. Die Kooperation mit der TU Dortmund überzeugt sie: „Die wissenschaftliche Arbeit in Deutschland und der Ukraine hat verschiedene Ansätze und Methoden. Für meine Forschung ist das sehr gut, denn ich lerne gerade enorm viel Neues.“

Portrait einer Frau © privat
Dr. Lyudmyla Chernova arbeitet nun an der Fakultät Wirtschaftswissenschaften.

Über ihre neuen Kolleg*innen erzählt sie: „Ich schätze die Unterstützung der Universität sehr wert und bin dankbar für die Hilfe meines Teams. Alle sind weltoffen und haben mich herzlich aufgenommen.“ Das Programm der TU Dortmund sei vor allem besonders gewesen, weil der Gastaufenthalt so kurzfristig und unkompliziert angebahnt werden konnte und nicht abhängig von Deutschkenntnissen oder bestehenden Beziehungen gewesen sei.

Experimentelle Physik 2 nimmt Prof. Valerii Kidalov auf

Auch der ukrainische Wissenschaftler Prof. Valerii Kidalov geht seiner Forschung an der TU Dortmund nach, seitdem in seinem Heimatland Krieg herrscht. Der Physiker war zuvor als Leiter des Forschungsinstituts für Nanotechnologie und Nanomaterialien an der Tavria State Agrotechnological University in Melitopol tätig. Die südukrainische Stadt war eine der ersten, die im Februar 2022 besetzt wurde – Prof. Kidalov war zu diesem Zeitpunkt für ein Forschungsprojekt in Aserbaidschan und konnte nicht in seine Heimat zurückkehren. Zwei seiner Projekte in Melitopol wurden zu diesem Zeitpunkt staatlich gefördert: Materialien und Ausstattung, die zu diesem Zweck besorgt wurden, fielen in die Hand der Besatzer.

Prof. Valerii Kidalov (l.) mit Dr. Yuriy Bacherikov (Mitte) und Prof. Georgy Tarasov (r.) vor dem Mensagebäude.

Prof. Valerii Kidalov wurde ebenfalls über eine Webseite für vom Krieg betroffene Forschende auf die TU Dortmund aufmerksam. Nach Sichtung seiner Bewerbung lud Prof. Marc Aßmann, Professur für Festkörperphysik, ihn an die Fakultät Physik ein. Dort erhielt er eine Einführung in die Labortechnik der Experimentellen Physik 2, sodass er seine Forschung hier fortführen kann. Nun untersucht er in einem kleinen Team die Spin-Flip-Raman-Spektroskopie. Außerdem organisierte Prof. Kidalov ein Seminar für das Laborteam. Prof. Georgy Tarasov und Dr. Yuriy Bacherikov, ebenfalls zu Gast an der TU Dortmund, teilten darin Ergebnisse aus dem HORIZON 2020-Projekt SSHARE zur Entwicklung innovativer Technologien für Passivhäuser. Die beiden Forscher arbeiteten zuvor am V.E. Lashkaryov Institute of Semiconductor Physics in Kiew. Prof. Kidalov arbeitet daran, eigene Drittmittel zu beantragen und sich für Stipendien zu bewerben, um seine Forschung eigenständig weiter fortführen zu können. Die TU Dortmund ist für ihn gerade einer der besten Orte der Welt.

Das Hilfsprogramm der TU Dortmund ist als eine Art Anschubfinanzierung gedacht, um wissenschaftliche Arbeiten trotz Flucht fortsetzen zu können. Forschungsorganisationen wie die DFG oder die Alexander von Humboldt-Stiftung bieten spezielle Förderprogramme an, die Geflüchteten eine mehrjährige Finanzierung ihrer Forschung in Deutschland ermöglichen.