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Vermittler zwischen den Welten

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Portrait Prof. Christian Janiesch © Roland Scholl
Ein Wirtschaftsinformatiker im Porträt: Prof. Christian Janiesch bringt Wissenschaft und Öffentlichkeit zusammen.
Kommunikation ist ein wichtiger Teil seines Fachgebiets: Als Wirtschaftsinformatiker vermittelt Prof. Christian Janiesch von der Fakultät für Informatik zwischen Entwickler*innen und Nutzer*innen von IT-Anwendungen. Immer öfter trägt er seine Erkenntnisse auch in die Öffentlichkeit: per Social Media, Pressemitteilung oder im Video. Dabei geht es ihm nicht um den viralen Hit. Er will durch faktenbasierte Kommunikation zeigen, woran er und seine Kolleg*innen an der TU Dortmund forschen.

Christian Janiesch steht im Studio des IT & Medien Centrums der TU Dortmund und blickt auf seinen „Spickzettel“. Der Professor für Enterprise Computing soll für eine Videoreihe über Grundbegriffe in der Künstlichen Intelligenz (KI) drei Fragen zu „Fairness in der KI“ möglichst kurz, anschaulich und verständlich beantworten. Ob er denn selbst auch Künstliche Intelligenz verwende, will der Mitarbeiter des Referats Hochschulkommunikation in einer kurzen Pause wissen. „Ja, natürlich. ChatGPT hat mir Antworten für Ihre drei Fragen geliefert. Das Programm kann so etwas sehr gut in verständlicher, eloquenter Form ausdrücken. Ich habe dann noch die Fakten gecheckt und den Text für die Situation angepasst, da bin ich natürlich besser“, sagt der Wirtschaftsinformatiker und macht sich für die nächste Aufnahme bereit.

Dass Janiesch bei einer solchen Aktion der Öffentlichkeitsarbeit mitmacht, ist eine ganz bewusste Entscheidung des Forschers. Der gebürtige Münsteraner ist zwar in Norddeutschland aufgewachsen, versucht aber, die typisch wortkarge Art der Norddeutschen immer wieder abzulegen. „Gerade wenn es um Wissenschafts­kommunikation geht, ist das ja ratsam“, sagt Janiesch, der in Münster Wirtschaftsinformatik studiert und dort auch promoviert hat. Sein damaliger Chef habe immer betont: „Tue Gutes und sprich darüber.“

Eine Person, die eine Hand ausstreckt und eine leuchtende, symbolische Darstellung einer Person hält, umgeben von vernetzten, kleineren Personen-Symbolen. © somyuzu​/​stock.adobe.com
Künstliche Intelligenz sollte nicht an Menschen vorbei entwickelt werden, meint Prof. Christian Janiesch: Er setzt sich dafür ein, Grundbegriffe der KI auch für Laien verständlich zu erklären, und nimmt in seiner eigenen Forschung die Perspektive der Nutzer*innen von KI-Anwendungen in den Blick.

Kommunizieren? Gerne, aber wohldosiert.

So hält es Janiesch seit einigen Jahren, nicht so intensiv wie manche Kollegin oder mancher Kollege, aber doch mehr als viele andere. Wohldosiert und auf verschiedenen Kanälen vermittelt er zwischen seinem Forschungsfeld, Fachpublikum und der breiten Bevölkerung. Die vermittelnde Position nimmt Janiesch auch in seiner Forschung ein. Da steht er zwischen zwei Gruppen: den Informatiker*innen und den Nutzer*innen von Anwendungen für Wirtschaftsprozesse.

„Ich bin ein bisschen ein Produkt meiner Stationen“, sagt der 46-Jährige. Einst hat er mit Informationsmodellierung begonnen, also der strukturierten Darstellung komplexer Systeme, damit Anwender oder Analystinnen eine Kommunikationsbasis haben, um vor allem prozessorientierte Systeme gemeinsam zu gestalten. Nach der Zeit in Westfalen wechselte er in die freie Wirtschaft zum Softwareunternehmen SAP als Senior Researcher am SAP Research Center in Brisbane, Australien. „Damals waren die großen Themen Service und Cloud Computing“, sagt Janiesch. Es folgten das Karlsruher Institut für Technologie und 2014 die Berufung als Juniorprofessor für Information Management nach Würzburg, wo er sein Portfolio mit Maschinellem Lernen und Künstlicher Intelligenz komplettierte. Nach kurzen Zwischenstationen in Dresden und Landshut übernahm er schließlich 2021 die Professur für Enterprise Computing in Dortmund.

In seiner Arbeit als Wirtschaftsinformatiker dreht sich alles um den angewandten Teil der Informatik: Es geht darum, Informationssysteme in Firmen und Wirtschaftsunternehmen zu nutzen, angefangen von Unternehmenssoftware wie der von SAP bis zu Anwendungen für Kundenbeziehungen, sogenanntes Customer Relationship Management. Für die TU Dortmund ist der Professor die perfekte Ergänzung, weil er diese angewandte Perspektive in die Informatik einbringt und an der Fakultät weiter ausbauen will. Zudem holt er die Wirtschaftswissenschaften für Kooperationen mit ins Boot. „Gemeinsam haben wir den neuen Bachelorstudiengang Wirtschaftsinformatik aufgebaut, der im Wintersemester 2024/25 startet“, sagt Janiesch. „Wir wollen den Studierenden eine angewandte Sicht auf ihren Stoff geben, vor allem die sozio-technische Perspektive.“ Dabei geht es um den einfachen Umstand, dass eine Software von Nutzer*innen, die keine Informatikkenntnisse haben, eingesetzt und verstanden werden soll. Und, dass es einen Softwareerstellungsprozess gibt, an dem eben nicht nur Entwickler*innen mitwirken, sondern auch Prozess-Architektinnen und Endnutzer und vielleicht noch Personen aus dem Management.

„Wir bezeichnen uns immer als die Brückenbauer zwischen Informatik und Betriebswirtschaft, weil wir letztlich die sind, die beide Seiten verstehen“, sagt der Wirtschaftsinformatiker. Für Informatiker*innen höre das Interesse meist dann auf, wenn eine Anwendung tue, was sie solle, oder bestimmte Benchmarks erreiche. Betriebswirt*innen hingegen sähen vor allem Fragezeichen, wenn sie die IT-„Motorhaube“ einer Anwendung öffneten.

In seiner Forschung richtet er seinen Blick zum Beispiel darauf, wie Nutzer*innen auf Anwendungen reagieren und wie zugänglich diese grundsätzlich für Menschen sind. „Eine unserer Fragestellungen lautet beispielsweise: Wie sehen geeignete Darstellungen von Erklärungen aus?“, sagt Janiesch.

Ein Aspekt betrifft den Cognitive Load, also die kognitive Belastung der Nutzenden, den er gemeinsam mit seinem Postdoc Dr. Philip Stahmann betrachtet. „Da geht es um Darstellungsformen und die Frage, ob sie die Nutzer*innen überfordern oder sogar unterfordern“, erklärt Janiesch. Im ersten Fall wird eine Tätigkeit vielleicht abgebrochen oder nicht mehr sinnvoll zu Ende geführt, im anderen Fall wird man unaufmerksam, was ebenfalls zu Fehlern führen kann. „Eine Herausforderung ist, das überhaupt zu messen. Hier kommen Methoden wie Eye-Tracking oder Selbsteinschätzungen in Frage“, sagt Janiesch.

KI vertrauenswürdig gestalten

Bei der Dortmunder Forschung zu Künstlicher Intelligenz ist Vertrauen eines der wichtigen Themen, zu dem auch die Videoreihe gedreht wurde. Janiesch erforscht in diesem Bereich auch Aspekte wie Bias, also Verzerrungen in den Trainingsdaten und dem Erstellungsprozess solcher Anwendungen. „Wie kann man Systeme so gestalten, dass solche Verzerrungen von Anfang an vermieden werden, oder wie muss man zumindest die Nutzer*innen darauf hinweisen, dass es solche Probleme geben kann?“, fragt Janiesch.

Zuletzt veröffentlichte er mit Kollegen aus Würzburg und Magdeburg eine Untersuchung im International Journal of Information Management, die folgende bis dato gängige Annahme der KI-Forschung in Frage stellte: „Je leistungsfähiger ein KI-Algorithmus ist, umso schwerer ist er verständlich.“ Mediziner*innen sollten bewerten, wie nachvollziehbar verschiedene KI-Verfahren Symptome von Herzkrankheiten oder Hirnscans verarbeiteten. Janiesch und seine Kollegen konnten zeigen, dass die Fachexpert*innen einzelne KI-Analysen teils besser, teils schlechter verständlich fanden, als es auf der Basis mathematischer und programmatischer Überlegungen bisher allgemein angenommen worden war.

Screenshot eines Beitrags auf LinkedIn über Generative AI © LinkedIn​/​VHB Verband der Hochullehrerinnen und Hochschullehrer
Als ChatGPT im Jahr 2023 Schlagzeilen macht, sind Informatik-Expert*innen gefragt. Für Hochschullehrer*innen fasst Prof. Janiesch in einem LinkedIn-Post zusammen, was beim Umgang mit generativer KI zu beachten ist.

„Unsere Forschung macht deutlich, dass Annahmen zur Verständlichkeit bzw. Erklärbarkeit von KI nicht nur auf mathematischen Eigenschaften basieren sollten, sondern insbesondere auf der Perspektive derjenigen, die mit dieser Technologie in der Praxis arbeiten“, sagt Janiesch. „Denn wenn KI eingesetzt wird, müssen die Anwender*innen zunächst Vertrauen aufbauen, und das geht nur, wenn nachvollziehbar gearbeitet wird.“ Die Ergebnisse zeigten auch, wie wichtig es sei, Fachanwender*innen stärker in den Prozess der KI-Entwicklung einzubinden.

Sprachmodell ChatGPT als Top-Thema in den Medien
Ein Mann, der vor vier weiteren Personen eine Präsentation hält. © Eleni Gill
Prof. Christian Janiesch kommuniziert regelmäßig auf LinkedIn. Dort erreicht er vor allem Menschen, die sich für sein Fach interessieren. Im Frühjahr 2024 postet er ein Bild, das ihn bei einem Vortrag zu Mensch-Maschine-Interaktionsmustern zeigt, den er an der Queensland University of Technology in Australien hält.

Da KI derzeit Top-Thema in den Medien ist und das Forschungsergebnis gängige Annahmen widerlegt, schlug Janiesch dem Referat Hochschulkommunikation vor, dazu eine Pressemitteilung zu veröffentlichen. Das ist typisch für ihn. Er kommuniziert nicht um des Kommunizierens willen: „Ich finde, es sollte schon belastbare Fakten geben, sonst kann ja jeder alles schreiben“, sagt der Forscher. Am aktivsten ist er selbst auf LinkedIn, dem Businessnetzwerk. Dort erreicht er mehr als 1.300 Follower, die sich für sein Feld interessieren. Twitter/X hat er wieder aufgegeben, auch weil er Privates und Berufliches streng trennt: „In meiner Freizeit will ich auf meinen privaten Kanälen nicht lesen, was Kollegen beruflich Neues geschafft haben“, sagt Janiesch. Ihm gehe es nicht um den einen viralen Hit, der ja oft einem „One-Hit-Wonder“ gleichkomme: „Mir ist es wichtiger, in der Breite zu zeigen: Wir arbeiten kontinuierlich an spannenden Themen, machen gute Forschung, hier baut sich was auf.“

Auch abseits von Social Media betreibt er Wissenschafts­kommunikation. Im Februar 2024 zum Beispiel besuchte er eine Gesamtschule in Kamen, um den neuen Bachelorstudiengang Wirtschaftsinformatik vorzustellen. „Das war insgesamt eine nette Atmosphäre und ich glaube, die Schüler*innen haben einen ganz guten Eindruck bekommen. Insgesamt waren sie aber etwas zurückhaltend“, sagt er. Das dürfte bei einem weiteren Projekt eher nicht zu erwarten sein: Janiesch macht sich Gedanken über einen Roundtable mit Firmen zu bestimmten Themen rund um das KI-Management. Solche Veranstaltungen werden bisher vor allem von Firmen angeboten, die dann aber ihre Tools verkaufen wollen. Er könnte da einen neutraleren Blick aus der Wissenschaft präsentieren und auf neueste Entwicklungen aufmerksam machen.

„Wirtschaftsinformatiker sind die, die beide Seiten verstehen.“ Prof. Christian Janiesch

Der Wirtschaftsinformatiker ist auch in einem Expertentool des Verbands der Hochschullehrer*innen der Betriebswirtschaftslehre gelistet. Darüber erreichen ihn hin und wieder Anfragen. Zuletzt war „KI in der Hochschule“ – vor allem das Sprachmodell ChatGPT – ein Riesenthema. Da beantwortete er auch schon mal ganze Fragelisten von Journalist*innen, nur um dann festzustellen, dass im Artikel die Antworten eines anderen Experten zu finden waren. Das sei wegen der aufgewendeten Zeit schon ein bisschen unbefriedigend, sagt er: „Andererseits geht es ja nicht darum, überall meinen Namen zu lesen.“ Es passiere immer wieder, dass von dem, was er einem Medium erzähle, nur Bruchstücke im Artikel landen.

Detaillierte Aufnahmen eines Gehirns mit diagnostischen Daten. © artek​/​stock.adobe.com
In seiner Forschung zur Erklärbarkeit von KI untersucht er zum Beispiel, wie Mediziner*innen die Ergebnisse von KI-Analysen einschätzen.

Die Scheu vor der Kamera oder dem Mikrofon hat er abgelegt: „Weil ich mir vorher ein bisschen was zurechtlege, sonst wird es ein Glücksspiel“, sagt er. Aber sich vorzubereiten, bedeutet nicht, dass er mit dem Ergebnis immer zufrieden wäre: „Oft weiß ich drei Tage später, wie ich es hätte noch besser erklären können, aber dann ist es eben zu spät.“ Wissenschafts­kommunikation deswegen nicht zu machen, findet er abwegig. Manchmal genüge es aber schon, sich ein Video mit etwas Abstand nochmal anzuschauen, denn dann sehe man es weniger kritisch. „Man muss sich davon trennen, dass alles perfekt wird. Alles kann man sowieso nicht erzählen.“

Text: Marcus Anhäuser

Dies ist ein Beitrag aus der mundo, dem Forschungsmagazin der TU Dortmund.

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