Wie geht gute Wissenschaftskommunikation?
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Vielen Wissenschaftler*innen ist es ein Anliegen, ihre Erkenntnisse mit der Öffentlichkeit zu teilen. Während schon im 16. Jahrhundert einige ihre Experimente vor einem staunenden Publikum vorführten, tragen heute manche ihre neuesten Entdeckungen via Social Media in die Welt. Medienschaffende und Bürger*innen haben vor allem bei gesellschaftlich relevanten Fragen ein Interesse an wissenschaftlich fundierten Fakten und Positionen.
Herr Wormer, Sie selbst kommen aus dem Wissenschaftsjournalismus und haben die gleichnamige Professur inne. An der TU Dortmund engagieren Sie sich für die Wissenschaftskommunikation und möchten Wissenschaftler*innen eine Orientierung geben, wie sie selbst verantwortungsbewusst über ihre Forschung kommunizieren können. Wo liegen Unterschiede zwischen Wissenschaftsjournalismus und Wissenschaftskommunikation?
Wissenschaftsjournalismus ist Wissenschaftskommunikation durch Journalistinnen und Journalisten, also Fremdbeobachtung und Einordnung des Systems Wissenschaft von außen; Wissenschaftskommunikation durch Forschende und Forschungsinstitutionen hingegen ist primär Selbstbeobachtung. Für das Publikum ist es oft schwierig, die Unterschiede zu erkennen: Ist das, was ich online finde und lese, nun unabhängiges Urteil oder Selbstdarstellung? Das liegt auch an der Konvergenz im Digitalen – im Netz sieht erstmal alles gleich aus.
War diese Unterscheidung früher einfacher?
Ja, in der Hochphase des Wissenschaftsjournalismus auf jeden Fall. Vor 15 bis 20 Jahren arbeiteten in den Verlagshäusern noch deutlich mehr Wissenschaftsjournalisten. Noch in den Nuller-Jahren neu gegründete Zeitschriftentitel wie SZ Wissen, GEOkompakt oder ZEIT Wissen waren als Wissenschaftsjournalismus deutlich erkennbar. Mit den Medienkrisen ist vieles jedoch wieder weggefallen. Auch wenn wir im internationalen Vergleich noch recht gut dastehen, wurden einige Redaktionen abgeschafft, Titel sind wieder vom Markt verschwunden. Gleichzeitig ist die institutionelle Wissenschaftskommunikation gewachsen – mit professionellen Kommunikationsabteilungen an Hochschulen und anderen Forschungseinrichtungen, die ihre Mitglieder unterstützen und eigene Themen setzen.

Was folgt für Sie aus dieser Entwicklung?
Erstens folgt für mich daraus eine notwendige Sensibilisierung für die Qualitätsmerkmale einer guten Wissenschaftskommunikation. Das gilt zunächst für diejenigen, die Inhalte für die Öffentlichkeit produzieren – also die Forschenden selbst und die Pressestellen. Zweitens wäre die Stärkung des Wissenschaftsjournalismus durch neue Arten der Finanzierung eine Antwort auf diese Entwicklung. Drittens sollten wir die Nutzer in den Blick nehmen, die Nachrichten aus der Wissenschaft nicht nur konsumieren, sondern Quellen auch besser kritisch einordnen können sollten.
Fangen wir mit der Qualität an: Was braucht gute Wissenschaftskommunikation?
Schauen wir zunächst auf die Qualität im Wissenschaftsjournalismus, die wir auch mit unserem Projekt „Medien-Doktor“ untersuchen. Seit rund 15 Jahren bewerten wir medizinjournalistische und darauf aufbauend auch umwelt- und ernährungsjournalistische Beiträge in Publikumsmedien nach festen Qualitätskriterien. Dazu gehört, dass Texte, Audio- und Videobeiträge nicht übertreiben oder verharmlosen, unabhängige Expertinnen und Experten herangezogen werden müssen und möglichst eine Einordnung der Thematik in einen größeren Kontext erfolgt. Nach dem Vorbild eines „wissenschaftsjournalistischen Peer Review“ haben unsere Gutachterinnen und Gutachter bereits viele hundert Gutachten zu journalistischen Beiträgen über wissenschaftliche Themen verfasst, die die Bandbreite der Qualität im Journalismus aufzeigen – und sie haben Verbesserungsvorschläge gemacht. Im Projekt „Medien-Doktor PR-Watch“ wurden zeitweise auch Pressemitteilungen bewertet. Hier zeigt sich ebenfalls: Es gibt gute Pressemitteilungen, aber auch schlechte, die zum Beispiel den Publikationsstatus, Unsicherheiten von Forschungsresultaten oder mögliche Nebenwirkungen neuer Verfahren nicht thematisieren.
Inwiefern ist das ins neue „Leitbild Gute Wissenschaftskommunikation“ der TU Dortmund eingeflossen, das Sie mitentwickelt haben?
Es ist mir wichtig, dass gute Wissenschaftskommunikation bedeutet, die Standards guter Wissenschaft und die Standards guter Kommunikation einzuhalten. Das haben wir im Leitbild dargelegt. Meines Wissens ist die TU Dortmund die erste Universität in Deutschland, die die redliche Kommunikation mit der Öffentlichkeit sogar in den Regeln guter wissenschaftlicher Praxis verankert hat. Das bedeutet zum Beispiel, dass eigene Resultate in den Stand der Forschung eingeordnet werden sollen und man auf Übertreibungen verzichtet.
Gleichzeitig muss man sich aber auch fragen: Was interessiert das Publikum? Und was ist gesellschaftlich gerade relevant? Da erfordern Themen wie Klimakrise, Schulforschung oder Migration für gewöhnlich ein größeres Engagement in der öffentlichen Debatte als theoretischere Felder. Publikumsorientierte Wissenschaftskommunikation sollte für die jeweilige Zielgruppe verständlich sein – und natürlich darf und muss sie Sachverhalte vereinfachen und unterhaltend darstellen. Wichtig ist, dass es primär um die Sache geht und nicht um Selbstvermarktung: Als Wissenschaftlerin oder Wissenschaftler sollte ich nicht ständig betonen, wie toll ich bin, sondern die Erkenntnisse aus meiner aktuellen Forschung erläutern, kritisch einordnen, Grenzen und Unsicherheiten aufzeigen – und vielleicht sogar offen auf jene konkurrierende Gruppe hinweisen, die womöglich widersprüchliche Resultate erzielt hat.
Wie ließe sich „Gute Wissenschaftskommunikation“ denn in die Breite tragen?
Ein Ansatz liegt darin, die Rolle der institutionalisierten Wissenschafts-PR zu stärken, sie weiter zu professionalisieren entlang von wissenschaftlichen und journalistischen Standards. Im Bundestag wurde zum Beispiel ein Antrag „Wissenschaftskommunikation systematisch und umfassend stärken“ verabschiedet. Der stellt – abgesehen von der Stärkung des Wissenschaftsjournalismus – Qualitätsmaßstäbe leider noch nicht ausreichend in den Mittelpunkt, aber er zeigt, dass Wissenschaftskommunikation auf der politischen Agenda an Bedeutung gewinnt. Pressestellen von Forschungseinrichtungen sollten aber schon jetzt in Eigeninitiative neu über ihre Qualitätsmaßstäbe nachdenken.
Warum?
Als ich Mitte der 1980er-Jahre als freier Lokaljournalist bei der Rheinischen Post anfing, erhielten wir noch Pressemitteilungen per Fax. Es standen Journalistinnen und Journalisten als „Gatekeeper“ zwischen Öffentlichkeitsarbeit und Öffentlichkeit, die idealerweise mindestens eine zweite Einschätzung einholten, bevor sie – vielleicht – Inhalte an die breitere Öffentlichkeit gaben. Heute gehen Pressemitteilungen und Ähnliches aber nicht mehr an Faxgeräte von prüfenden Redaktionen, sondern sie sind im Netz direkt für jedermann zugänglich. Die Pressemitteilung ist eine „An-alle-Mitteilung“ geworden: Was Forschungseinrichtungen im Internet und auf Social Media nach außen kommunizieren, ist oft 1:1 das, was das Publikum erreicht. Eine Einordnung durch Recherchen anderer, die eingangs erwähnte Fremdbeobachtung, ist nicht mehr automatisch gegeben.
Und was ändert das für die Qualitätsmaßstäbe?
Forschende oder Pressestellen müssten daher nun das tun, was einst Redaktionen übernahmen – eine kritische Einordnung möglichst unabhängiger Expertinnen oder Experten einholen. Als wir das zum ersten Mal diskutierten, gab es eine Riesen-Debatte. Der Reflex aus großen Teilen der Wissenschafts-PR, war: Nein, das ist nicht unsere Aufgabe; viele sehen ihre Rolle immer noch eher darin, ihre Institution bestmöglich zu „verkaufen“, als im Sinne eines wissenschaftlichen Ethos redlich über Wissenschaft zu kommunizieren. Auch im Journalismus war man teils skeptisch: Wer garantiert denn, dass die externen Fachleute, die dann womöglich – z.B. in Pressemitteilungen – zitiert werden, wirklich unabhängig sprechen? Mein Plädoyer lautet aber, dass die neue Arbeitsweise die Rolle der institutionellen Wissenschaftskommunikation stärken kann. Pressestellen sollten daher wie eine journalistische Redaktion agieren dürfen, also recherchieren und kritische Meinungen von außen zur Forschung im eigenen Haus einholen. Das müssen sie womöglich sogar, um nicht an Glaubwürdigkeit zu verlieren. Und das können sie auch, schließlich arbeiten dort häufig gut ausgebildete Journalistinnen und Journalisten. Die Leitungsebene und wir als Forschende müssen sie nur lassen – und akzeptieren, dass unsere Pressestellen uns nicht nur feiern, sondern die Öffentlichkeit fair über unsere Forschung informieren.

Zurück zur Presse: Wie könnte denn die Rolle des Wissenschaftsjournalismus wieder gestärkt werden?
Der Bund müsste aus meiner Sicht mehr Geld in die Förderung des Wissenschaftsjournalismus stecken. Denn der ist als kritischer Beobachter in der Demokratie wichtiger als die PR. Man könnte den Wissenschaftsjournalismus und seine Unabhängigkeit staatlich fördern, so wie man auch die Wissenschaft fördert – in Form einer staatsfernen Stiftung oder, so unsere Idee, mit einer „Deutschen Journalismusgemeinschaft“ nach dem Vorbild der Deutschen Forschungsgemeinschaft. Sie wäre im Journalismus zu verorten und würde das staatliche Geld selbst verwalten und nach einer unabhängigen Begutachtung von Fachleuten aus Journalismus und Wissenschaft vergeben, so dass es keinen direkten Einfluss des Staates gäbe. Diesen Ansatz habe ich unlängst zusammen mit unserer Absolventin Maria Latos und Frank Lobigs, Professor für Medienökonomie an unserem Institut, in einem Paper für die Fachzeitschrift Journalism veröffentlicht.
Gibt es denn auch Überlegungen dazu, wie das Publikum für den Wert guter Wissenschaftskommunikation sensibilisiert werden kann?
Wir müssen unserem Publikum erklären, warum wissenschaftliche Ergebnisse oder eine journalistische Recherche im Grundsatz glaubwürdiger sind als ein Blogbeitrag ohne seriöse Belege. Am Rhine Ruhr Center for Science Communication Research (RRC) untersuchen wir derzeit das Wissenschaftsverständnis verschiedener Zielgruppen. Um die Formate für eine zielgruppen- und mediengerechte Kommunikation weiterzuentwickeln, muss ich zuerst wissen, an welche Vorstellungen von Wissenschaft ich überhaupt andocke. Am RCC erforschen wir auch neue Formate, um Forschungsergebnisse auch aus den Sozial- und Geisteswissenschaften, aber insbesondere das Wissen über das Wissenschaftssystem insgesamt zu vermitteln. Damit reagieren wir auf eine „Krise der Faktizität“, die sich in Fake News oder der gezielten Diskreditierung von Wissenschaft und Journalismus zeigt.
Mit guter Kommunikation die Gesellschaft zu verändern – ist das Ihre persönliche Motivation?
Letztlich geht es darum, die öffentliche Meinungsbildung in einer Demokratie im Zeitalter der gezielten Desinformation zu sichern. Ich wünsche mir, dass es neben der Stärkung des Journalismus und einer besseren institutionellen Wissenschaftskommunikation perspektivisch gelingt, die Medien- und Wissenschaftskompetenz auf Nutzerseite zu stärken. Derzeit bieten wir in Kooperation mit dem Landesverband der Volkshochschulen zum Beispiel ein Kompetenztraining gegen Fake News aus dem Umwelt- und Gesundheitsbereich an. Der Traum wäre aber eine neue Stiftungsprofessur für Science & Media Literacy an der TU Dortmund, die diese Themen auch in der Lehrerbildung sowie der betrieblichen Weiterbildung fest verankert. Damit Mediennutzerinnen und -nutzer in Zeiten, in denen das Gatekeeping durch Redaktionen schwächer geworden ist, besser selbst beurteilen können, was man eher glauben sollte und was nicht.
Zur Person:
Prof. Holger Wormer ist seit 2004 Professor für Wissenschaftsjournalismus am Institut für Journalistik der Fakultät Kulturwissenschaften. Zu den Schwerpunkten seiner Forschung und Lehre gehören Qualität und Ethik in Wissenschaft und Medien, Aufgaben und Funktionen des Wissenschaftsjournalismus und der Wissenschafts-, Gesundheits- und Umweltkommunikation sowie Recherche-, Sprach- und Vermittlungskompetenz in Medien und Schule. Nach seinem Chemiestudium an den Universitäten Heidelberg, Ulm und am ICPI Lyon arbeitete er als Wissenschaftsredakteur der Süddeutschen Zeitung. 2021 war er Mitbegründer des Rhine Ruhr Center for Science Communication Research. Landesweit bekannt wurde Wormer durch die bis 2015 laufende Wissenschaftskolumne „Professor Holger“ im WDR-Radiosender 1Live.
Dies ist ein Beitrag aus der mundo, dem Forschungsmagazin der TU Dortmund.