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Gedankenzüge

Russisch

Die Zeilen aus diesem kleinen, aber berühmten Gedicht Whitmans, das in der dritten Ausgabe der Leaves of Grass im Jahr 1860 erschien, haben eine besondere Bedeutung für die deutsche Politik.

Unter dem Titel „Für Dich, O Demokratie“ eröffnete 1965 der deutsche Autor und Nobelpreisträger Günter Grass eine Werbekampagne für den sozialdemokratischen Kanzlerkandidaten Willy Brandt. Er verwies damit auf die Bedeutung einer Erneuerung der deutschen Demokratie und den Beitrag, den Kunst und Literatur, darunter Whitman und er selbst, zu leisten hätten. Zwar verwendete Grass nicht alle hier zitierten Zeilen, aber wer bei Whitman nachlas, wusste, dass es bei dieser Version von Demokratie vor allem auch um Gemeinschaft und gegenseitiges Verstehen geht. Das Gedicht verweist ebenso auf die besondere Bedeutung der Demokratie für den urbanen Bereich, für die Städte und ihre Nachbarschaften, aber genauso auf die „Liebe der Gefährten“, mit denen Whitman auch schwule Menschen und deren Beitrag meint.

Den Übersetzer Kornej Tschukowski (1882–1969) kennt in Russland jedes Kind. Heinrich Pfandl, der uns bei der Auswahl der Zeilen für die GEDANKENZÜGE unterstützte, hat im gymnasialen Russischunterricht einige seiner Kindergedichte kennengelernt. Die klangen so, dass man sich diese als Kind schon wegen des Rhythmus’ merkte: „Jechali medvedi, na velospide, a za nimi kot, zadom naperjod …“ („Es fuhren Bären auf dem Fahrrad, dahinter ein Kater, mit dem Hintern nach vorn …“) – es wurde aufgezählt, wer alles vorüberfuhr. Tschukowski hatte mit solchen Texten einst seine Tochter Lidija, die spätere Dissidentin und Freundin von Achmatowa, im Zug zum Schlafen gebracht. Tschukowski, ein großartiger Vermittler englischer und amerikanischer Literatur ins Russische, erlebte die Revolution, den Terror im Bürgerkrieg und später den Stalin-Terror.

Wir danken Heinrich Pfandl, geb. 1954 in Villach, der Slawistik und Romanistik in Graz, Nancy und Moskau studierte und zum sowjetischen Barden Wladimir Wyssocki (1993) und zum sprachlich-kulturellen Verhalten russischsprachiger Emigrant*innen der dritten und vierten Welle (2001) publizierte, für seine umfassende Hilfe und Beratung.