Zum Inhalt
Internationaler Tag der Sprachentwicklungsstörungen

Drei Fragen an JProf. Anna-Lena Scherger zur Sprachentwicklung

-
in
  • Forschung
  • Top-Meldungen
  • Menschen
Bild einer Frau, ein Porträt von JProf Scherger. © Felix Schmale​/​TU Dortmund
JProf. Anna-Lena Scherger ist seit dem Sommersemester 2021 Juniorprofessorin für „Partizipation bei Beeinträchtigungen der Sprache und Kommunikation“ an der Fakultät Rehabilitationswissenschaften.

Der 15. Oktober 2021 ist internationaler Tag der Sprachentwicklungsstörungen. Weltweit möchten internationale Expert*innen für Sprachentwicklung mit diesem Tag die Aufmerksamkeit auf Sprachentwicklungsstörungen und damit einhergehende Beeinträchtigungen bei Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen richten. An der TU Dortmund forscht Dr. Anna-Lena Scherger zu dem Thema. Sie ist seit dem Sommersemester 2021 Juniorprofessorin für „Partizipation bei Beeinträchtigungen der Sprache und Kommunikation“ an der Fakultät Rehabilitationswissenschaften. Im Interview erklärt sie, was man unter Sprachentwicklungsstörungen versteht und wie der Spracherwerb erforscht wird.

JProf. Scherger, was ist mit Sprachentwicklungsstörungen gemeint?

Die meisten Kinder erwerben Sprache beiläufig. Sie brauchen dafür keine besondere Unterstützung, sondern einfach ihr natürliches Umfeld und sprachlichen Input. Bei einigen Kindern funktioniert das jedoch nicht beiläufig. Eine Störung liegt vor, wenn ihre sprachlichen Fähigkeiten im Vergleich zu gleichaltrigen Kindern deutlich geringer ausgeprägt sind. Das kann sich zum Beispiel dadurch bemerkbar machen, dass ein Kind später mit dem Sprechen anfängt, nur langsam neue Wörter hinzulernt, langanhaltend bestimmte Meilensteine im Grammatikerwerb nicht erreicht oder undeutlich spricht. Je früher Kinderärzt*innen, Erzieher*innen, Lehrer*innen oder auch die Eltern merken, dass ein Kind Schwierigkeiten beim Spracherwerb hat, desto besser kann man helfen – idealerweise noch deutlich vor dem Schulstart. Sprachentwicklungsstörungen sind die häufigsten Entwicklungsstörungen im Kindesalter, die aber durch Sprachtherapie behandelt werden können. Aus diesem Grund soll auch der „Internationale Tag der Sprachentwicklungsstörungen“ auf das Thema aufmerksam machen.

Sie interessieren sich in Ihrer Forschung vor allem für Sprachentwicklungsstörungen in Kombination mit Mehrsprachigkeit. Was untersuchen Sie genau?

Es gibt bereits vielfältige Erkenntnisse darüber, wie die Sprachentwicklung grundsätzlich abläuft. Wir wissen zum Beispiel, welche Meilensteine Kinder wann erreichen. Bei mehrsprachigen Kindern müssen wir darüber hinaus unterschiedliche Bedingungen berücksichtigen: Lernen sie von Geburt an zwei oder mehr Sprachen? Erwerben sie erst die Muttersprache und werden dann in der Kita mit einer weiteren Sprache konfrontiert? Hat die Familie oft das Land gewechselt, sodass nach und nach Sprachen hinzugekommen sind? Hier ist es zunächst unser Ziel, den Stand der Sprachentwicklung angemessen zu bestimmen. Des Weiteren arbeiten wir an geeigneten Diagnoseverfahren für Sprachentwicklungsstörungen. In der Praxis sind vor allem bei mehrsprachig aufwachsenden Kindern Fehldiagnosen leider noch häufig. Sie werden verfrüht als sprachentwicklungsgestört diagnostiziert, da von ihnen der gleiche Entwicklungsstand wie von einsprachigen Kindern erwartet wird. Oder man guckt nicht so streng hin, da sie mehrsprachig aufwachsen, und erkennt das Problem zu spät. Im LITMUS-Projekt wurden zum Beispiel gemeinsam mit internationalen Kolleg*innen Sprachstandserhebungsverfahren für mehrsprachige Kinder entwickelt. LITMUS steht für „Language impairment testing in multilingual settings“. Unsere vielfältigen Forschungsbemühungen haben gezeigt, dass diese Tools sehr valide anzeigen, bei welchem Kind eine Störung vorliegt. Was jetzt noch fehlt, damit die Tools in die Anwendung kommen können, ist eine Normierung für die sprachtherapeutische Praxis.

Welche Projekte laufen darüber hinaus aktuell im Bereich „Sprache und Kommunikation“ an Ihrer Fakultät?

Um zu verstehen, wie Spracherwerb funktioniert und auch frühzeitig Interventionen einzuleiten, müssen wir mit unseren Studien im frühen Kindesalter beginnen. Wir untersuchen Kinder bereits, bevor sie in die Kita kommen oder gar erst anfangen zu sprechen. Dazu nutze ich mit meinem Team aktuell vor allem technikbasierte Methoden, zum Beispiel Eye-Tracking und Pupillometrie. Indem wir die Pupillen der Kinder beobachten, sehen wir, inwieweit sie auf Gehörtes reagieren und es verstehen. Die Methode ist sprachunabhängig. Mein Ziel ist es, sie auch für die mehrsprachige Diagnostik fruchtbar zu machen. Ein besonderes Projekt an der TU Dortmund ist der „Dortmunder Längsschnitt“, der vor neun Jahren mit Kindern im Alter von 12 Monaten gestartet ist. Die Studie begleitet die Kinder über viele Jahre und liefert dadurch Erkenntnisse zu Entwicklungszusammenhängen von zum Beispiel Gestenkommunikation oder Arbeitsgedächtnis und der Sprachentwicklung. Ich freue mich, auch in Zukunft mit diesem einmaligen Datensatz arbeiten zu können.

 

Zum Bereich „Sprache und Kommunikation”

 

Ansprechperson für Rückfragen: