Zum Inhalt
mundo

Ganz schön was los im Kopf

-
in
  • mundo
Eine Grafik zeigt zwei sich ansehende Kopfe aus deren Stirn bunte Schwaden aufsteigen und sich vermischen. © melita​/​stock.adobe.com

In ihren psycholinguistischen Laboren erforscht Prof. Barbara Mertins vom Institut für Diversitätsstudien unter anderem mit Eye-Tracking, wie Sprache das menschliche Denken und die Wahrnehmung beeinflusst.

Wenn die rote Lampe im Flur leuchtet, bedeutet das „Bitte nicht stören“. Denn dann haben Prof. Barbara Mertins und ihr Team Proband*innen in den psycholinguistics laboratories zu Gast, um zu erforschen, wie Sprache kognitiv verarbeitet wird. Dafür verwenden sie unter anderem Methoden wie das Eye-Tracking und das Elektroenzephalogramm (EEG). Die Forschungsthemen von Prof. Mertins, die selbst bilingual aufgewachsen ist und heute neun Sprachen spricht, sind unter anderem Spracherwerb, Mehrsprachigkeit und Raumkognition.

Eine Frau sitzt vor einem hellen Computer-Bildschirm, der ein Wimmelbild zeigt. Auf dem Computer ist eine Webcam angebracht. © Felix Schmale​/​TU Dortmund
Die Probandin soll die oben gezeigte Joggerin im Wimmelbild finden. Eine Kamera zeichnet währenddessen den Suchverlauf ihrer Augen auf.
Eine Frau sitzt am Computer und betrachtet ein Wimmelbild, eine zweite Frau steht hinter ihr. © Felix Schmale​/​TU Dortmund
Die Mitarbeiterinnen können am Bildschirm live die Suchwege der Probandin mitverfolgen.

Sie wechseln mühelos vom Deutschen ins Schwedische, Polnische oder Arabische und wieder zurück: Kinder, die bilingual aufwachsen. Im Labor zeigen Prof. Barbara Mertins und ihre Mitarbeiterinnen Dr. Renate Delucchi, Maryam Fatemi und Katrin Odermann den jungen Proband*innen Wimmelbilder, auf denen diese ein bestimmtes Objekt finden sollen. Die Eye-Tracking-Methode zeichnet währenddessen den Suchverlauf der Augen auf. Es zeigt sich, dass die Suchwege bei frühkindlicher bilingualer Kog­nition meist zielgerichteter sind. Dafür gibt es mehrere Gründe: „Wir gehen davon aus, dass bilinguale Kinder – zumindest, wenn sie aus einem bildungsnahen Haushalt kommen und genügend Input erfahren – die Zielobjekte schneller finden, weil sie eine bessere exekutive Kontrolle haben, also ihre Aufmerksamkeit effizienter steuern können“, erklärt Prof. Barbara Mertins. Bilinguale Personen managen immer mehr als eine Sprache: Sie müssen stets die beabsichtigte Sprache auswählen und die andere gleichzeitig hemmen. Dank dieser Fähigkeiten können sie in der Regel besser mit Reizüberflutung umgehen. Um das Sprachverständnis von sehr kleinen Kindern – mit bereits vier Monaten können Babys an Studien teilnehmen – untersuchen zu können, wird in den psycholinguistics laboratories derzeit zusätzlich ein Baby Lab eingerichtet.

„Wir gehen davon aus, dass bilinguale Kinder ihre Aufmerksamkeit besser steuern können.“      Prof. Barbara Mertins

Ebenfalls mittels Eye-Tracking erforscht das Team die Wahrnehmung von Endpunkten. Dafür werden den Proband*innen kurze Videos gezeigt, die diese mit einem Satz beschreiben sollen. Der Forschung liegt die Annahme zugrunde, dass Denkprozesse nicht universell sind, sondern von der Grammatik der jeweiligen Sprache geprägt werden. So beschreiben deutschsprachige Proband*innen das Video (rechts) systematisch mit „Ein Auto fährt auf eine Ortschaft zu“, während englischsprachige Betrachter*innen häufiger „A car is driving along the road“ sagen. Dass sich die Beschreibungen so stark unterscheiden, liegt laut den Forscherinnen daran, dass holistische Sprachen wie das Deutsche stärker auf das Ziel fokussiert sind, während in Phasensprachen wie dem Englischen der Verlauf im Vordergrund steht.

Ein Laptop-Bildschirm zeigt ein Video von einer Landstraße, auf der Tastatur liegt eine Hand.  © Felix Schmale​/​TU Dortmund
Proband*innen sollen beschreiben, was sie auf dem Video sehen. Je nach sprachlichem Hintergrund unterscheiden sich die Beschreibungen deutlich.

So gibt es im Deutschen auch keine grammatikalische Entsprechung für das englische present progressive, das eine gegenwärtig stattfindende Handlung ausdrückt. Der sprachliche Hintergrund beeinflusst demnach, wie man etwas wahrnimmt und erinnert. „Diese Erkenntnis ist spätestens dann nicht nur akademisch relevant, wenn es beispielsweise um Zeugenaussagen geht, und sie stellt infrage, ob es so etwas wie Objektivität überhaupt geben kann“, sagt Prof. Barbara Mertins. Die Unterschiede in den Betrachtungsweisen sind mit experimentellen Daten aus insgesamt dreizehn, auch nicht indoeuropäischen, Sprachen belegt.

Ein Computerbildschirm zeigt die Außenansicht einer schmalen Gasse mit Häuserfassaden. Ein Eye-Tracking-Programm hat auf dem Bild Punkte in Augenhöhe eines Fußgängers markiert. © Felix Schmale​/​TU Dortmund
Wenn Architektur-Laien Räume betrachten, verharrt ihr Blick eher auf Fußgängerhöhe und bleibt an Schildern hängen.

In einem gemeinsamen Projekt mit dem Bereich Baukonstruktion der Fakultät Architektur und Bauingenieurwesen zur Raumwahrnehmung haben Prof. Barbara Mertins und ihr Team mit Eye-Tracking gezeigt, dass Architekturexpert*innen und Laien Räume – sowohl bebaute als auch unbebaute – anders wahrnehmen. So erfassen Architekt*innen Räume ganzheitlicher und schauen auch in die Höhe und Tiefe, während der Blick von Laien oftmals an Schildern hängenbleibt und auf Fußgängerhöhe verharrt. Die Proband*innen wussten während der Studie übrigens nicht, dass sie als Architekt*innen bzw. Laien getestet werden und mussten stattdessen einfache Fragen beantworten, die für das Experiment irrelevant waren. „Wir konnten feststellen, dass Expert*innen aufgrund einer angelernten ‚Grammatik des Raumes‘ ihre Aufmerksamkeit anders verteilen“, erläutert Prof. Barbara Mertins.

Ebenfalls um die Wahrnehmung des Raumes geht es bei Experimenten, die in den psycholinguistischen Laboren mittels Virtual-Reality-Brille durchgeführt werden. Indem sie die Brille aufsetzen, tauchen die Proband*innen in dreidimensionale Räume, beispielsweise ein Wohnzimmer, ein. Welche Personen dort was in welcher Reihenfolge wahrnehmen, ist sehr unterschiedlich. Während bei den zuvor beschriebenen Experimenten einzig der sprachliche Hintergrund oder die Expertise entscheidend sind, zeigen sich hier vor allem geschlechtsspezifische Unterschiede.

Eine Frau trägt eine Virtual-Reality-Brille auch schaut nach links. © Felix Schmale​/​TU Dortmund
Mittels einer Virtual-Reality-Brille können Proband*innen in virtuelle Räume eintauchen.
Eine Frau sitzt mit einer Kappe von der bunte Kabel abgehen auf einem Stuhl, eine zweite Frau steht hinter ihr und hält ihre Hände über der Kappe. © Felix Schmale​/​TU Dortmund
An der Kappe befinden sich 32 Elektroden, die die Gehirnströme von Proband*innen messen.

Auch Gehirnströme können die Forscherinnen messen. Dafür setzen die Proband*innen eine Kappe auf, an der sich 32 Elektroden befinden, die die Gehirnaktivitäten aufzeichnen. Bei einem der Experimente hören die Proband*innen drei Sätze, wobei in einem ein grammatikalischer Fehler eingebaut ist. Dies sollte sofort einen Ausschlag in der Messung erzeugen. Ist das nicht der Fall, können möglicherweise frühzeitig Anzeichen unter anderem  für Alzheimer-Demenz entdeckt werden.

Text: Lisa Burgardt

Zur Person

Prof. Barbara Mertins vom Institut für Diversitätsstudien der Fakultät Kulturwissenschaften ist seit 2014 Professorin für empirische und experimentelle Linguistik des Deutschen – Psycholinguistik an der TU Dortmund. Nach dem Studium der Germanistik, Philosophie und Neueren Deutschen Literatur an der Albert-Ludwigs-Universität in Freiburg im Breisgau promovierte sie 2004 in Psycholinguistik am Max-Planck-Institut für Psycholinguistik und der Radboud Universität Nijmegen, Niederlande. 2012 habilitierte sie sich mit dem Thema „Untersuchung zu Sprache und Kognition am Beispiel von Ereigniskonzeptualisierung und Textkohärenz im Deutschen und Tschechischen“ an der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg. Forschungsschwerpunkte von Prof. Barbara Mertins sind neben der Psycholinguistik die Methoden der experimentellen Linguistik und die Linguistik der Gegenwart.

Vier Frauen posieren für ein Foto, im Hintergrund ist ein großes Fenster und ein weißes Treppengeländer. © Felix Schmale​/​TU Dortmund
Team des Psycholinguistischen Labors: Prof. Barbara Mertins (2.v.l.) und ihre Mitarbeiterinnen Dr. Renate Delucchi, Katrin Odermann und Maryam Fatemi (v.l.).

Dies ist ein Beitrag aus der mundo, dem Forschungsmagazin der TU Dortmund.

Alle Beiträge der aktuellen Ausgabe