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Für die Schule von morgen

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Man sieht zwei Männer von hinten, die vor einer Tafel stehen, auf der mehrere Begriffe stehen. In der Mitte steht das Wort Doprofil. © Film und Kontext

An der TU Dortmund arbeiten 70 Wissen­schaft­ler*innen seit sechs Jahren im Projekt DoProfiL. Das gemeinsame Ziel: Die Lehrer*innenbildung zu verbessern und Lehramtsstudierende fit zu machen für die Schule der Zukunft.

Der inklusive Umgang mit Diversität stellt Lehrkräfte vor immer neue Herausforderungen. Damit Lehrpersonen mit der Vielfalt im Klassenraum umgehen und ihren Unterricht möglichst inklusiv gestalten können, hat sich die TU Dortmund vor sechs Jahren auf den Weg gemacht, ihre Lehrer*innenbildung zukunftsfähig zu verändern. Im Projekt DoProfiL werden auf Basis eines umfassenden Inklusionsverständnisses auf der einen Seite alle Lehrveranstaltungen im Lehramt der TU Dortmund überprüft und angepasst und auf der anderen Seite in allen Fachrichtungen Aspekte von Diversität beforscht. mundo zeigt anhand ausgewählter Beispiele, wie vielfältig die Aktivitäten sind.

Drei Fragen an Prof. Stephan Hußmann

Herr Hußmann, gemeinsam mit Prof. Barbara Welzel leiten Sie DoProfiL. Ziel ist es, eine zeitgemäße Lehrer*innenbildung zu etablieren, die sich stärker als bisher an der Inklusion orientiert. Warum ist die Inklusion so wichtig für die Schule von morgen?

Prof. Stephan Hußmann: Viele denken bei Inklusion zunächst an Menschen mit Beeinträchtigungen. Inklusion trifft aber – nach unserem Verständnis – jede und jeden, da alle sehr besonders sind, mit besonderen Fähigkeiten und einem unterschiedlichen Background. Damit meine ich etwa das Geschlecht, die Religion, die ethnische Herkunft, den sozialen oder ökonomischen Status, körperliche Beeinträchtigungen oder besondere Begabungen. Wer Lehrer*in werden möchte, muss bereits im Studium lernen, wie sie oder er mit einer heterogenen Schüler*innenschaft umgehen kann, um jede*n bestmöglich zu unterstützen.

Foto von Stephan Hussmann © Felix Schmale​/​TU Dortmund

Das klingt nach einer großen Aufgabe. Wie gehen Sie im Projekt vor?

Wie umfassend das Thema ist, zeigt sich am Projektteam: An DoProfiL sind rund 70 Personen beteiligt. Der inklusive Umgang mit Diversität erstreckt sich dabei als roter Faden über alle Fachwissenschaften und Fachdidaktiken. Wir haben in den vergangenen sechs Jahren in interdisziplinären Teams und zahlreichen Einzelprojekten unsere Curricula, Methoden, Lehr-/Lernarrangements, Kulturen und Strukturen beforscht und neu entwickelt. Dabei sind innovative Formate für Lehrveranstaltungen entstanden. Es wurden aber auch die institutionellen Strukturen genauer betrachtet und Weiterqualifizierungsangebote für Hochschullehrende entwickelt.

Was begeistert Sie persönlich an DoProfiL?

Die Schule ist nach meinem Verständnis eine Keimzelle von Gesellschaft. Daher ist sie auch der ideale Ort, um eine tolerante Gesellschaft aufzubauen. Das ist meine Vision für DoProfiL: Die Lehrer*innen, die wir hier an der TU Dortmund ausbilden, können einen Beitrag zu mehr Bildungsgerechtigkeit leisten, indem sie allen Schüler*innen die gleichen Chancen auf eine erfolgreiche Zukunft ermöglichen.


Acht Beispiele zeigen, wie vielfältig die Aktivitäten im Projekt DoProfiL sind.

Prof. Barbara Welzel steht mit mehreren Studenten vor einer großen Fensterscheibe im oberen Stockwerk eines Gebäudes. Das Fenster bietet eine Aussicht auf viele Gebäude. © Roland Baege​/​TU Dortmund
Prof. Barbara Welzel erforscht, wie Menschen aller Religionen am kulturellen Erbe teilhaben können. Mit geflüchteten Schüler*innen erkundet sie die Stadt.

Kunstgeschichte: Kulturelles Erbe interkulturell

Prof. Barbara Welzel vom Seminar für Kunst und Kunstwissenschaft erforscht, wie Teilhabe am kulturellen Erbe für Menschen unterschiedlicher Religionen und kultureller Zugehörigkeiten eröffnet werden kann und wie alle ihre Perspektiven für ein gemeinsames Teilen einbringen können. Dazu hat ihr Team etwa Gruppen von geflüchteten Schüler*innen begleitet und mit ihnen die Stadtkirche St. Reinoldi erkundet. Referenzrahmen ist die Kulturerbekonvention des Europarats. Kulturerbe ist demnach säkular definiert, daher ist auch eine Kirche wie die Reinoldikirche in Dortmund kulturelles Erbe aller Menschen, die ihre diversen Blickweisen miteinander austauschen. 

„In einem Einwanderungsland wie Deutschland ist es wichtig, in den Diskurs miteinander zu treten und Möglichkeiten zu finden, gemeinsam Kulturerbe zu teilen und miteinander zu erben. In diesem Sinne kann Kunstgeschichte einen Beitrag für mehr Verständigung und ein friedliches Miteinander leisten“, sagt Prof. Welzel.

Prof. Barbara Welzel, Kunstgeschichte und Kulturelle Bildung, Fakultät Kunst- und Sportwissenschaften


Chemie: Individuelle Lernhürden erkennen

Die Gestaltung von adaptivem Unterricht, also einem Unterricht, der sich an den Lernvoraussetzungen der Schüler*innen orientiert, ist eine Herausforderung, der sich Lehrkräfte stellen müssen. Ohne konkrete Situationen aus der Praxis bleibt das Wissen um unterschiedliche Lernvoraussetzungen und Lernhürden meist graue Theorie. Dr. Christina Krabbe und Prof. Insa Melle beforschen, wie Videovignetten aus realen Unterrichtssituationen in Lehrveranstaltungen für angehende Chemielehrkräfte eingesetzt werden können, um Einblicke in unterschiedliche Aufgabenbearbeitungen von Schüler*innen zu ermöglichen. Die Studierenden analysieren die Lernschwierigkeiten und planen anschließend ein adaptives Unterrichtssetting, um so einen Lernerfolg für möglichst alle Schüler*innen zu erreichen. „Die Videovignetten ermöglichen eine intensive Untersuchung der Situation, so können unterschiedliche Herangehensweisen und Denkmuster der Schüler*innen identifiziert werden“, sagt Dr. Christina Krabbe.

Dr. Christina Krabbe und Prof. Insa Melle, Chemie und ihre Didaktik, Fakultät für Chemie und Chemische Biologie


Englischunterricht: Mehr Teilhabe dank digitaler Medien

Im englischdidaktischen Seminar von JProf. Carolyn Blume setzen sich Lehramtsstudierende mit der Rolle von digitalen Medien hinsichtlich der Teilhabe von neurodiversen Schüler*innen auseinander. Bei neurodiversen Personen handelt es sich beispielsweise um Autist*innen oder um Menschen mit Aufmerksamkeits-Defizit-Hyperaktivitäts-Störung (ADHS) oder Lese-Rechtschreib-Störung (LRS). Für sie ist der Englischunterricht oft herausfordernd. Es ist daher eine Chance, mit zukünftigen Lehrkräften die Rolle von digitalen Medien zur Förderung der Teilhabe im Englischunterricht zu erörtern. In virtueller Zusammenarbeit mit Studierenden anderer Universitäten befragen die Seminarteilnehmenden neurodiverse Menschen zu ihren Erfahrungen mit digitalen Medien und mit dem Englischlernen, um didaktische Potenziale zu identifizieren. Das führt zu einer besseren Reflexion im Umgang mit Heterogenität und bildet die Grundlage für eine inklusive Handlungskompetenz.

JProf. Carolyn Blume, Lehren und Lernen mit digitalen Medien, Dortmunder Kompetenzzentrum für Lehrerbildung und Lehr-/Lernforschung (DoKoLL)


Bildungswissenschaften: Für eine bessere Zusammenarbeit unter Lehrkräften

In einer inklusiven Schule müssen Regelschullehrkräfte und Lehrkräfte für sonderpädagogische Förderung zusammenarbeiten, um ihre Schüler*innen bestmöglich zu fördern. Hier setzt das Forschungsprojekt „Inklusion Hoch Zwei – Interaktionsprozesse von Lehrkräften in inklusiven Unterrichtssettings“ an. Mithilfe von Videographien wurden Lehrkräfte der unterschiedlichen Professionen in inklusiven Unterrichtssettings an Grund- und Gesamtschulen begleitet, um zu erforschen, wie sie im Umgang mit den Schüler*innen interagieren.

Innenansicht eines Unterrichtsraumes, in dem mehrere Tischgruppen stehen. An einem Ende des Raumes hängt ein Monitor. © Hai-Till Pham
Im Klassenzimmer des „LabprofiL“ – Labor für forschungsbasierte und inklusionsorientierte Lehrer*innenbildung – können Studierende Unterrichtseinheiten erproben und sich dabei filmen.

Die Analysen erbrachten: Lehrkräfte stimmten sich während des Unterrichts nur selten ab und verfolgten im Umgang mit den Schüler*innen unterschiedliche Herangehensweisen, sei es bei der Zeitnutzung, der individuellen Förderung oder der sozialen Teilhabe. Die Unterrichtsvideos und Befunde fließen in die Weiterentwicklung innovativer Lehrkonzepte für eine inklusive Lehrer*innenbildung ein.

Prof. Sabine Hornberg, Dr. Magdalena Buddeberg und Jan-Simon Zimmermann, Institut für Allgemeine Didaktik und Schulpädagogik (IADS), Fakultät Erziehungswissenschaft, Psychologie und Bildungsforschung


Individuelle Lernvoraussetzungen berücksichtigen

Lernen stellt hohe Anforderungen an die Informationsverarbeitung der Schüler*innen, z.B. an Gedächtnis und Aufmerksamkeit. Damit in einem inklusiven Unterricht alle Schüler*innen entsprechend ihrer Voraussetzungen lernen können, muss der Unterricht an die individuellen Bedürfnisse angepasst werden. Hierzu benötigen Lehrkräfte Wissen über die kognitiven Systeme und Prozesse, ihre Bedeutung beim Lernen, typische Schwierigkeiten sowie über konkrete Adaptionsmöglichkeiten. Prof. Jan Kuhl und Dr. Sarah Schulze erforschen, welches Wissen und welche Vorstellungen Lehramtsstudierende zu individuellen kognitiven Lernvoraussetzungen und zu einer daran orientierten Unterrichtsgestaltung haben und wie professionelles Wissen erworben werden kann. Dazu wurde das Vorwissen der Studierenden u.a. durch Interviews erfasst, um auf dieser Grundlage Schlussfolgerungen für die Hochschullehre abzuleiten. Gleichzeitig wurde ein Seminar entwickelt, in dem Studierende Wissen zu gedächtnis- und aufmerksamkeitsbezogenen Barrieren in Lernmaterialien und Lernsettings erwerben.

Prof. Jan Kuhl und Dr. Sarah Schulze, Unterrichtsentwicklungsforschung mit dem Schwerpunkt Inklusion, Fakultät Rehabilitationswissenschaften


Musik: Inklusion in einer Welt der Dinge

Das Unterrichtsfach Musik bringt die Besonderheit mit sich, dass es durch außerschulische Vorerfahrung wie Instrumentalunterricht und Musikschulbesuche in besonderem Maße zu fachlich heterogenen Lerngruppen kommen kann. Diese Differenzlinie der musikalischen Vorerfahrung hängt dabei in hohem Maße mit Aspekten der sozialen Herkunft, der Unterstützung im Elternhaus oder des kulturellen Hintergrunds zusammen. Gerade durch die Verwendung von Instrumenten oder anderen, musikbezogenen „Dingen“ im Musikunterricht werden diese Unterschiede besonders hervorgehoben und sichtbar gemacht, weshalb die Perspektive auf die Materialität von Unterrichtsinteraktionen zunehmend in den Fokus der Inklusionsforschung rückt. Prof. Ulrike Kranefeld und Dr. Jan Duve erforschen die Zusammenhänge zwischen Differenzkonstruktion und Materialität und entwickeln Seminarkonzepte, um zukünftige Musiklehrer*innen für diese oft verschattete Dimension von Inklusion zu sensibilisieren.

Prof. Ulrike Kranefeld und Dr. Jan Duve, Musikpädagogik, Fakultät Kunst- und Sportwissenschaften


Lernverlauf: Gute Diagostik, bessere Förderung

Das Einzelprojekt befasst sich mit der Entwicklung von Testverfahren und Fördermaterialien zur Lernverlaufsdiagnostik, deren Vermittlung in Lehrkräfteaus- und -fortbildung sowie deren Implementierung in die schulische Praxis. Instrumente der Lernverlaufsdiagnostik können Lehrkräften relevante Informationen über die Passung von Lerngegenstand und individuellen Lernvoraussetzungen von Schüler*innen zur Verfügung stellen. Damit sind sie eine wichtige Informationsgrundlage für die Gestaltung adaptiver Lerngelegenheiten insbesondere für leistungsheterogene Lerngruppen im inklusiven Unterricht. Die im Projekt entwickelten Testverfahren und Fördermaterialien werden auf der Onlineplattform www.levumi.de zur Verfügung gestellt und können kostenfrei für Unterrichts- oder Forschungszwecke eingesetzt werden.

Sven Anderson, Prof. Sarah Weigelt und Prof. Markus Gebhardt (seit 2020 an der Universität Regensburg), Sehbeeinträchtigung und Blindheit sowie Entwicklung, Erforschung inklusiver Bildungsprozesse, Fakultät Rehabilitationswissenschaften


DoBuS: Inklusion inklusiv lehren

Der Bereich Behinderung und Studium (DoBuS) hat im Projekt DoProfiL sechs hochschuldidaktische Angebote konzipiert, mit denen Nach-wuchswissenschaftler*innen dabei un-
 terstützt werden, Inklusion auch inklusiv zu lehren. Damit kommt die TU Dortmund dem politischen Auftrag nach, an der Hochschule die Diversität der Studierenden stärker zu berücksichtigen und chancengleiche Teilhabe an Hochschulbildung zu ermöglichen. Dr. Carsten Bender: „Insbesondere im Kontext einer inklusionsorientierten Lehrer*innenbildung erhöht dies nicht nur die Glaubwürdigkeit der eigenen Lehre, sondern es wird ein kaum zu unterschätzender Beitrag zur Förderung einer positiven Einstellung zum Thema Inklusion geleistet.“ Die Angebote werden sukzessive in das hochschuldidaktische Programm des zhb integriert und stehen so allen Lehrenden offen.

Dr. Carsten Bender und Vera Jahnsen, Zentrum für HochschulBildung (zhb), DoBuS


Das Projekt

  • Titel: Dortmunder Profil für inklusionsorientierte Lehrer/-innenbildung (DoProfiL)
     
  • Förderung: 11,5 Millionen Euro von 2016 bis 2023 im Rahmen der „Qualitätsoffensive Lehrerbildung“ von Bund und Land
     
  • Beteiligt: Dortmunder Kompetenzzentrum für Lehrerbildung und Lehr-/Lernforschung (DoKoLL), Fachwissenschaften und Fachdidaktiken, Bildungswissenschaften, Rehabilitationswissenschaften, Zentrum für HochschulBildung (zhb) mit dem Bereich Behinderung und Studium (DoBuS)
     
  • Projektleitung: Prof. Stephan Hußmann, Prof. Barbara Welzel

Dies ist ein Beitrag aus der mundo, dem Forschungsmagazin der TU Dortmund.
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