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Wissensregion Metropole Ruhr

Drei Fragen zum Bildungsbericht Ruhr 2020

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Porträtfoto einer Frau und eines Mannes. © Privat
Dr. Sabine Lauer und Prof. Uwe Wilkesmann erklären, welche besonderen Herausforderungen Hochschulen im Ruhrgebiet meistern.

Der Bildungsbericht Ruhr 2020 stellt datenbasiert dar, wie sich das Bildungssystem im Ruhrgebiet von 2012 bis 2019 entwickelt hat. Dr. Sabine Lauer und Prof. Uwe Wilkesmann vom Zentrum für HochschulBildung (zhb) der TU Dortmund haben das Kapitel über die Hochschulen verfasst. Im Interview erklären sie, was die Hochschulen im Ruhrgebiet ausmacht und welchen Herausforderungen sie sich stellen müssen. Herausgeber des Bildungsberichts ist RuhrFutur, eine Bildungsinitiative der Stiftung Mercator, des Landes NRW, des Regionalverbands Ruhr sowie sechs Städten, einem Kreis und sieben Hochschulen.

Frau Dr. Lauer, das Ruhrgebiet hat die dichteste Hochschullandschaft in Europa. Trotzdem ist es national und international vor allem als Industrie- und weniger als Bildungsregion bekannt. Woran liegt das und was ist kennzeichnend für die Hochschulen in der Metropole Ruhr?

Das Ruhrgebiet ist auf dem Weg, sich von einer Industrieregion zu einer Wissensregion zu wandeln. Auch wenn bereits viel geschafft ist, muss man beachten, dass die Hochschulen im Ruhrgebiet im deutschlandweiten Vergleich noch relativ jung sind. Viele wurden erst in den 1950er- oder 1960er-Jahren gegründet, andere Hochschulen können bereits auf eine jahrhundertealte Tradition zurückblicken. Das hat historische Gründe: Kaiser Wilhelm II. duldete im Ruhrgebiet keine Hochschulen, da er ein revolutionäres Potenzial durch eine mögliche Koalition zwischen Arbeitern und geistiger Elite fürchtete. Trotz ihres jungen Alters bieten die Universitäten und Fachhochschulen in der Metropole Ruhr eine exzellente Ausbildung an und sind gut vernetzt, z.B. durch die Universitätsallianz Ruhr. Die Fächerstruktur ist kennzeichnend für die Hochschulen der Region: Es gibt viele ingenieurwissenschaftliche Studiengänge, was sicher auch dem industriellen Hintergrund des Ruhrgebiets geschuldet ist. Dies zieht viele Studierende an. So ist auch der Anteil an Frauen, die Ingenieurwissenschaften studieren, mit knapp 17 Prozent relativ hoch. Im Vergleich zum Bildungsbericht 2012 zeigt sich außerdem, dass sich das Angebot an dualen Studiengängen verdoppelt hat. Auch die Studierendenzahl ist deutlich gestiegen. Die Hochschulen in der Region sind also auf einem guten Weg.

Prof. Wilkesmann, welchen besonderen Herausforderungen müssen sich Hochschulen im Ruhrgebiet stellen?

Es gibt zwei große Herausforderungen. Die eine ist das diverse Studierenden-Klientel. An den Hochschulen im Ruhrgebiet gibt es einen sehr hohen Anteil an first generation academics, also Studierenden, deren Eltern keine Akademikerinnen und Akademiker sind. Dadurch sind sie mit der Kultur der Hochschulen weniger vertraut und müssen sich dort erst einmal zurechtfinden. Zudem hat fast jeder vierte Studierende der Metropole Ruhr einen Migrationshintergrund, wobei 4,8 Prozent aus einem Elternhaus kommen, in dem nicht Deutsch gesprochen wird. Außerdem müssen im Ruhrgebiet im deutschlandweiten Vergleich deutlich mehr Studierende neben dem Studium arbeiten. Zugleich zeigt ein Blick auf die Daten, dass die BAföG-Förderung geringer ist als im Bundesdurchschnitt. Das führt dazu, dass Studierende im Ruhrgebiet am häufigsten sagen, dass sie de facto in Teilzeit studieren müssen, obwohl sie als Vollzeitstudierende eingeschrieben sind. Die zweite Herausforderung ist das noch zu schlechte Betreuungsverhältnis von Studierenden zu Hochschullehrenden. Das betrifft im Ruhrgebiet vor allem die Universitäten. Es fehlten oftmals die nötigen finanziellen Mittel, um mehr Professorinnen und Professoren einzustellen. Studierende, deren Startbedingungen für ein Studium so individuell sind wie in der Region, benötigen eine besondere Betreuung, um nicht abgehängt zu werden.

Prof. Wilkesmann, wie können die Hochschulen im Ruhrgebiet diese Situation meistern?

Die Hochschulen leisten trotz der vielen Herausforderungen erstaunlich gute Arbeit. Das sieht man auch daran, dass die meisten der genannten Kriterien, also first generation academics, Migrationshintergrund etc., nicht dazu führen, dass Studierende eher daran denken, ihr Studium abzubrechen. Interessanterweise reduziert eine nebentätige Arbeitszeit von bis zu neun Stunden die Woche sogar die Wahrscheinlichkeit, dass Studierende über einen Studienabbruch nachdenken. Dies könnte daran liegen, dass in diese Kategorie hauptsächlich Tätigkeiten als studentische Hilfskraft fallen. Denn in diesem Fall entwickeln die Studierenden häufig eine besondere Beziehung und Bindung zu der Universität bzw. ihrem Fach. Die akademische Integration spielt also eine große Rolle. Gute soziale Kontakte zu Mitstudierenden und Lehrenden sowie das Einleben in das akademische Umfeld sind enorm wichtig, damit sich Studierende an der Hochschule wohlfühlen. Die Unis im Ruhrgebiet sind oft Pendlerunis, viele bleiben also in ihrem sozialen, familiären Umfeld wohnen. Durch verschiedene Programme, wie beispielsweise den Unichor, können sich Studierende treffen, gemeinsam einer Aktivität nachgehen und stärker in die Unikultur integriert werden. Durch die Corona-Pandemie und den überwiegenden Umstieg auf digitale Lehre sind die Hochschulen in der Region besonders gefordert, ihre Studierenden in das akademische Umfeld zu integrieren und bestmöglich zu betreuen. Um die Entwicklungen an den Hochschulen in der Metropolregion Ruhr langfristig beobachten zu können, wird der Bildungsbericht Ruhr in Zukunft in regelmäßigen Abständen erscheinen.

Zum Bildungsbericht Ruhr 2020

Gemeinsame Stellungnahme zentraler Bildungsakteurinnen und Bildungsakteure im Ruhrgebiet

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