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Internationales Projekt

Ungleichheiten in der Langzeitpflege

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Prof. Dr. Martina Brandt sitzt auf einem Stuhl neben einer Pinnwand. Ihr gegenüber sitzen drei weitere Personen auf Stühlen. © Martina Hengesbach​/​TU Dortmund
Zum Abschluss des Projekts IN-CARE hat Prof. Martina Brandt auf der Hoch­schul­etage im Dortmunder U ein Treffen mit Expert*innen aus Politik und Praxis veranstaltet.

Mit einem Expert*innentreffen, das kürzlich auf der Hoch­schul­etage im Dortmunder U stattfand, hat Prof. Martina Brandt von der Fakultät Sozialwissenschaften ihr dreijähriges internationales Forschungsprojekt „IN-CARE – Inequality in Long-Term Care“ abgeschlossen. Gemeinsam mit ihrem Team sowie Kolleg*innen von der Keio University Tokyo, dem King’s College London und der Vrije Universiteit Amsterdam hat sie untersucht, wie unterschiedliche Pflegesysteme mit Ungleichheiten in Bezug auf familiäre Pflege und Wohlbefinden zusammenhängen.

Prof. Martina Brandt, wie ist dieses internationale Projekt zustande gekommen und wie haben Sie – insbesondere während der Pandemie – zusammengearbeitet?

Ich kannte die drei Kolleginnen aus Tokio, London und Amsterdam bereits sehr gut, weil wir uns immer wieder auf Konferenzen begegnet sind. Wir haben jeweils zu ähnlichen Themen, aber mit unterschiedlichen Schwerpunkten geforscht, das hat sich sehr gut ergänzt. Unsere Auftaktveranstaltung in Amsterdam und die Abschlussveranstaltung in London konnten wir glücklicherweise in Präsenz durchführen. Während des laufenden Projekts haben wir uns alle vier Wochen über Zoom ausgetauscht. In dem Fall war die Pandemie sogar ein Katalysator – denn ansonsten hätten wir uns vermutlich nicht so regelmäßig „getroffen“. Nach Abschluss des Projekts hat nun jede von uns im eigenen Land ein Treffen organisiert, bei dem Expert*innen aus Politik und Praxis zusammengekommen sind.

Worum ging es bei IN-CARE, was haben Sie genau untersucht?

Wie sich staatliche Regulierungen und der Markt auf die Langzeitpflege auswirken, ist bereits gut erforscht. Kaum Erkenntnisse gab es allerdings bislang darüber, welchen Einfluss sozioökonomische und Geschlechterunterschiede haben. Wir haben daher anhand von Daten, die für ganz Europa vorliegen, untersucht, wie sich informelle Pflege – also häusliche Pflege durch Angehörige – und formelle Pflege durch professionelle Dienstleister auf das Wohlbefinden der Beteiligten auswirken.

Zu welche Ergebnissen sind Sie gekommen?

Informelle Pflegearrangements haben häufig einen negativen Einfluss auf das Wohlbefinden der Pflegenden. Insbesondere wenn sich die zu pflegende Person im gleichen Haushalt befindet, ist dies für die Pflegenden gesundheitlich belastend. Große Ungleichheiten zeigen sich darin, dass sozioökonomisch niedrig Gestellte wesentlich häufiger die Pflege selbst übernehmen (müssen). Je mehr öffentliche Pflegeangebote es gibt, desto besser ist das für das Wohlbefinden der Beteiligten und desto geringer werden die Unterschiede zwischen den sozioökonomischen Gruppen. Spannend ist, dass ausnahmslos alle untersuchten Gruppen eine formelle oder zumindest geteilte Pflege als Entlastung empfinden – außer Frauen in Südeuropa. In Ländern wie Italien oder Spanien herrscht bei Frauen vielfach noch die Einstellung vor, dass es ihre Aufgabe sei, die Angehörigen zu unterstützen. Sie haben das Gefühl, diesen normativen Anspruch erfüllen zu müssen.

Welche Schlussfolgerungen ziehen Sie aus Ihren Beobachtungen?

Es müssen mehr staatliche Pflegeangebote geschaffen – statt abgebaut – werden. Insbesondere im Süden Europas besteht hier noch Handlungsbedarf. Aber auch in den Niederlanden und Großbritannien haben kürzlich erfolgte Kürzungen in der ambulanten Pflege bereits dazu geführt, dass sich die Pflege verschlechtert und Ungleichheiten verstärkt haben. Vielfach heißt es aus der Politik, dass kein Geld für staatliche Pflegeangebote vorhanden sei, doch die gesellschaftlichen Folgekosten sind wesentlich höher: Bei informellen Pflegearrangements stehen die Pflegenden dem Arbeitsmarkt in der Regel nicht zur Verfügung, zudem führen die Belastungen häufig dazu, dass die pflegenden Angehörigen selbst krank werden. Wichtig ist auch, dass die Angehörigen bei staatlicher Pflege nicht unbeteiligt sind. Unsere Auswertung hat gezeigt, dass die Familie trotzdem meist eng eingebunden ist, was die formelle Pflege quantitativ und qualitativ aufwertet.

Weitere Informationen zu IN-CARE

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