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50 Jahre IFS

Drei Fragen an Prof. Nele McElvany zu Kompetenzen in der Bildung

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Foto von der Prorektorin Forschung Prof. Dr. Nele McElvany © Simon Bierwald​/​TU Dortmund
Prof. Nele McElvany ist Professorin für Empirische Bildungsforschung und Geschäftsführende Direktorin des Instituts für Schul­ent­wicklungs­forschung.

Das Institut für Schulentwicklungsforschung (IFS) feiert dieses Jahr 50-jähriges Bestehen. Im Interview schaut Prof. Nele McElvany, Geschäftsführende Direktorin des IFS, auf bedeutende Meilensteine des Instituts zurück und erklärt, welche Gründe es für die mangelnden Lesekompetenzen bei Grundschüler*innen gibt und welche Kompetenzen in der schulischen Bildung ihrer Ansicht nach eine zentrale Rolle für die Gesellschaft von morgen spielen.

Jedes vierte Kind in der vierten Klasse kann laut der Internationalen Grundschul-Lese-Untersuchung (IGLU), die Sie kürzlich veröffentlicht haben, nicht richtig lesen. Welche Gründe sehen Sie für diese Entwicklung?

Die Gründe sind vielfältig. Zum einen wurden an die Grundschulen in den letzten Jahren viele Anforderungen herangetragen, die es mitunter erschwert haben, grundlegende Kompetenzen fokussiert zu vermitteln. In Deutschland steht im Schnitt jede Woche deutlich weniger Zeit für Leseunterricht zur Verfügung als im internationalen Vergleich. Dabei muss Lesen umfassend geübt werden – die grundlegende Lesefähigkeit muss gestärkt und das verstehende Lesen trainiert werden. An den Grundschulen fehlt zugleich ein System, um Lese- und Sprachfähigkeiten regelmäßig und standardisiert zu diagnostizieren und entsprechend verbindlich zu fördern. Zum anderen hat sich aber auch die Schülerschaft verändert – so sprechen mehr Kinder zuhause nicht Deutsch und bräuchten systematische Sprachförderung. Hinzu kommt der Lehrkräftemangel. Und natürlich gab es die COVID-19-bedingten Einschränkungen, die den bestehenden Abwärtstrend deutlich verstärkt haben, weil viele Kinder in der Zeit nicht ausreichend gefördert wurden. Hier wird ein grundsätzliches Problem des deutschen Bildungssystems deutlich: Kompetenzerwerb und Bildungswege sind vom familiären Hintergrund abhängig. In Sachen Bildungsgerechtigkeit haben wir bei IGLU in den vergangenen 20 Jahren leider keine Fortschritte beobachtet.

Das IFS widmet in diesem Jahr seine wissenschaftliche Jahrestagung der Frage, welche Kompetenzen die Schule von heute für die Gesellschaft von morgen vermitteln soll. Welche sind das Ihrer Ansicht nach und was bedeutet das für die Bildungsforschung?

Dazu werden wir einen spannenden Austausch mit vielen ausgewiesenen Referent*innen auf unserer Tagung am 15. Juni haben. Ein paar Gedanken vorab: IGLU verweist darauf, dass es eine zentrale Aufgabe ist, allen Schüler*innen grundlegende Kompetenzen – Lesen, Schreiben, Rechnen – zu vermitteln. Darüber hinaus bringt die fortschreitende Digitalisierung neue Anforderungen mit sich. Es ist wichtig, dass Kinder gut darauf vorbereitet werden, sowohl im Umgang mit digitalen Technologien als auch in ihrer aktiven Gestaltung. In einer sich ständig verändernden beruflichen und gesellschaftlichen Umgebung ist es entscheidend, dass Kinder in der Schule die Kompetenzen erwerben, um mit diesen Veränderungen später umgehen zu können. Schließlich brauchen wir für die Gesellschaft von morgen aktive Bürger*innen, die Verantwortung übernehmen und unsere Demokratie und Gesellschaft weiter positiv gestalten – auch hierfür müssen Kompetenzen in der Schule erworben werden. An der Stelle ist die Bildungsforschung gefragt, in Kommunikation mit der Bildungspraxis, -administration und -politik empirisch belegte Evidenz bereitzustellen, wie die vielfältigen Kompetenzen bestmöglich gefördert werden, so dass alle jungen Menschen ihr Potenzial entfalten können.

Das IFS feiert dieses Jahr sein goldenes Jubiläum, Sie selbst sind seit 2014 geschäftsführende Direktorin.  Welche Entwicklungsschritte hat das Institut in den vergangenen 50 Jahren genommen?

Das Institut hat in den fünf Jahrzehnten viele wichtige Schritte gemacht. Ich greife jetzt mal drei heraus: Das Thema der Schulentwicklung im wissenschaftlichen, politischen und öffentlichen Diskurs zu verankern, ist der Verdienst unseres Institutsgründers Prof. Hans-Günter Rolff. Ein weiterer Meilenstein für das IFS war die Weiterentwicklung zu einem Zentrum für qualitätsgesicherte Schulleistungsstudien durch Prof. Wilfried Bos, insbesondere durch die Durchführung internationaler Vergleichsstudien wie IGLU, TIMSS und ICILS. Drittens ist die Erweiterung der Perspektive auf die individuellen Bildungsprozesse, Lehr-Lern-Forschung sowie Interventions- und Längsschnittstudien bedeutsam für die aktuelle Arbeit und den Stand des Instituts. Das IFS hat sich in den vergangenen 50 Jahren einen ganzheitlichen Blick auf Schule erarbeitet – von der Systemebene bis hin zu den individuellen Schüler*innen und ihren Familien.

Zur Person

Prof. Nele McElvany ist Professorin für Empirische Bildungsforschung und Geschäftsführende Direktorin des Instituts für Schulentwicklungsforschung (IFS). Das 1973 gegründete, interdisziplinär arbeitende Institut ist eines der führenden Schul- und Bildungsforschungsinstitute Deutschlands. Das Team am IFS arbeitet an aktuellen Themen im Bereich der Bildungsforschung mit dem Ziel, schulische Lern- und Entwicklungsprozesse, Schulentwicklung und Bildungsergebnisse im Kontext ihrer individuellen, sozialen und institutionellen Bedingungen zu erfassen, zu erklären und zu optimieren. Zentrale Studien sind unter anderem die internationale Schulleistungsvergleichsstudie IGLU 2021, die das IFS im Auftrag von BMBF und KMK für Deutschland durchführt, oder der Studienabschnitt der Sekundarstufe I im Exzellenznetzwerk des Nationalen Bildungspanels (NEPS). Aufgrund der gesellschaftlichen Relevanz seiner Forschungsinhalte engagiert sich das IFS intensiv in den Bereichen Wissenschaftskommunikation und Transfer von Forschungsergebnissen.

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