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Drei Fragen an Prof. Sigrid Nieberle zu geschlechtergerechter Sprache

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Portrait einer Frau © Roland Baege​/​ TU Dortmund
Prof. Sigrid Nieberle ist Mitglied der AG Diversität, die Handlungsempfehlungen zur geschlechtergerechten Sprache an der TU Dortmund entwickelt hat.

Prof. Sigrid Nieberle vom Institut für Diversitätsstudien der Fakultät Kulturwissenschaften forscht zu Neuerer deutscher Literatur mit dem Schwerpunkt Gender und Diversität. Sie ist Mitglied der von Rektor Prof. Manfred Bayer einberufenen AG Diversität. Im Interview erzählt sie, wie sich Sprache wandelt, welche Aufgaben die AG Diversität hat und warum diese die Verwendung des Gendersterns empfiehlt.

Frau Prof. Nieberle, wie und warum wandelt sich Sprache?

Sprache reagiert immer auf gesellschaftliche Veränderungen und ist somit einem ständigen Wandel unterworfen. Dabei verändern sich schriftliche und mündliche Kommunikation weder gleichförmig noch gleichzeitig. Denn Krisen, Mode oder Jugendsprache stoßen eher einen kurzfristigen Sprachwandel an, während sich politische, juristische oder ökonomische Impulse meist mittel- und langfristig auswirken. Zugleich beeinflusst Sprache entscheidend, wie wir unsere Gesellschaft wahrnehmen und gestalten. Wie Kommunikation gelingt, ist nicht normativ festgelegt, sondern wird in einem demokratischen Verständigungsprozess immer wieder neu verhandelt. Für die deutsche Sprache beobachtet der DUDEN den Sprachwandel, für die Schriftsprache ist der Deutsche Rechtschreibrat das maßgebliche Gremium. Häufig werden die Verhandlungen darüber, wie schnell und in welche Richtung sich Sprache ändern soll, recht emotional geführt – ein deutliches Zeichen dafür, wie stark Sprache mit menschlicher Identität und der Wahrnehmung der Welt zusammenhängt. Dass sich zum Beispiel die Bezeichnungen für Menschen nicht-weißer Hautfarbe (People of Colour) in den letzten fünfzig Jahren stark verändert haben, weist auf einen großen Bedarf an gesellschaftlichen Aushandlungsprozessen hin, die mit Machtverhältnissen zusammenhängen und immer wieder neu erstritten werden.

Warum empfiehlt die AG Diversität der TU Dortmund die Verwendung des Gendersterns?

Geschlechtergerechte Sprache bemüht sich darum, alle Menschen entsprechend ihrem Geschlecht angemessen in Wort und Schrift zu repräsentieren. Derzeit wirken die zwei Prinzipien der Verknappung und der Angemessenheit gegeneinander: Der Bedarf, möglichst wenige Zeichen im zunehmend digitalen Diskurs einzusetzen, läuft dem Bedürfnis, möglichst viele unterschiedliche Menschen mit diesen wenigen Zeichen anzusprechen und einzuschließen, zuwider. Im Deutschen wird seit der Frauenbewegung der 1970er-Jahre das generische Maskulinum, das weibliche Formen mitmeint, stark kritisiert. Seither entstanden alternative generische Schreibweisen wie Student/-in oder Studierende. Seit der Änderung des deutschen Personenstandsgesetzes 2018, das die dritte Kategorie einer diversen Geschlechtsidentität eröffnet, geht es verstärkt darum, dass sich auch non-binäre Menschen, die sich weder mit dem männlichen noch dem weiblichen Genus identifizieren, in der Sprache wiederfinden können. Wir empfehlen daher, den Genderstern zu nutzen: Student*innen. Dieser steht symbolisch als schriftsprachlicher Platzhalter für alle anderen Geschlechtsidentitäten. Alternativ kann außerdem der Gender-Doppelpunkt verwendet werden: Student:innen. Von den gängigen Vorleseprogrammen werden die beiden Zeichen derzeit zwar noch nicht angemessen wiedergegeben, ihre Umsetzung ist in den Programmen aber inzwischen verständlich. Die TU Dortmund ist ein Ort der gelebten und wertgeschätzten Vielfalt. Dies unterstreichen wir mit der Schreibweise. Gerade weil Sprache dynamisch ist, können wir – je nach Kontext – daher auch etwas Mut aufbringen und Neues ausprobieren, um mehr Sichtbarkeit und Teilhabe zu ermöglichen.

Sie sind Mitglied der AG Diversität der TU Dortmund. Welche Aufgaben und Ziele hat sich die AG gesetzt?

Die AG Diversität wurde im Herbst 2020 von Rektor Prof. Manfred Bayer einberufen. Sie vernetzt Akteur*innen der Universität, die sich haupt- oder ehrenamtlich sowie wissenschaftlich mit Diversität und Diversitätsmanagement an der TU Dortmund beschäftigen. Ziel der AG Diversität ist es, die Studien- und Arbeitsbedingungen so zu gestalten, dass die Unterschiedlichkeit der Studierenden und Beschäftigten als wertvolle Bereicherung gesehen werden kann. Die Vielschichtigkeit der kulturellen und sozialen Herkunft, des Alters, der Religion, des Personenstands oder der sexuellen Orientierung birgt Potenziale für Forschung, Lehre und Verwaltung, die sich auf unserem Campus entfalten sollen. Zudem gilt es, die Bedürfnisse von Studierenden und Beschäftigten mit Behinderungen, chronischen Erkrankungen oder besonderen Familienaufgaben zu berücksichtigen. Aus unterschiedlichen Ausgangssituationen des*r Einzelnen dürfen keine personellen oder strukturellen Benachteiligungen entstehen. Konkret geht es darum, die Vorgaben des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes und des Gleichstellungsgesetzes NRW umzusetzen. Unsere Themen kommen derzeit anlassbezogen auf die Tagesordnung, zum Beispiel behandeln wir die Belange von Studierenden mit Familienaufgaben während der Corona-Pandemie. Die Aufgaben der AG Diversität sind aber auch grundsätzlicher Natur, so geht es etwa um die Umsetzung von baulichen Gegebenheiten auf dem Campus oder die Empfehlungen zur geschlechtergerechten Sprache.
 

Zur AG Diversität:
Die AG Diversität wird von Rektor Prof. Manfred Bayer geleitet. In der AG vertreten sind der AStA mit den entsprechenden Referent*innen, die Stabsstelle Chancengleichheit, Familie und Vielfalt, das Gleichstellungsbüro, das Referat Internationales, DoBuS, die Zentrale Studienberatung, das Zentrum für HochschulBildung sowie Wissen­schaft­ler*innen mit Diversitätsthemen im Schwerpunkt.

Handlungsempfehlungen der TU Dortmund zur geschlechtergerechten Sprache