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Veröffentlichung in „Science“

Quantenmechanische Elektronenschwingungen in Molekülen beobachtet

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Das Bild zeigt ein Schema von Elektronen, die quantenmechanisch miteinander interferieren. © Greg Stewart​/​SLAC National Accelerator
Elektronen können sich in einem Überlagerungszustand befinden, in dem sie quantenmechanisch miteinander interferieren.

Juniorprofessor Wolfram Helml von der Fakultät Physik der TU Dortmund hat zusammen mit einem internationalen Forschungsteam neue Beobachtungen im Bereich der Photochemie molekularer Quantensysteme gemacht. Mit einer Art Stoppuhr für ultraschnelle Elektronenprozesse in Atomen ist es ihnen gelungen, kohärente Überlagerungen von kernangeregten Zuständen in Molekülen zu beobachten und zu kontrollieren. Beteiligt waren Wissen­schaft­ler*innen von Forschungsinstituten in den USA, Deutschland, der Schweiz und Großbritannien. Die Ergebnisse wurden jüngst im renommierten Journal „Science“ veröffentlicht.

Elektronen können sich in einem Überlagerungszustand befinden, in dem sie quantenmechanisch miteinander interferieren, sich quasi abgestimmt aufeinander verstärken oder auslöschen. Die Beobachtung dieses Phänomens muss – da Elektronenzustände sich extrem schnell bewegen – im Bereich von Attosekunden stattfinden, einem unvorstellbar kurzen Zeitraum: Eine Attosekunde ist 10-18 Sekunden kurz, das ist so viel kürzer als eine Sekunde, wie eine Sekunde kürzer ist als das gesamte Alter des Universums. 

Zur Beobachtung solch ultraschneller Prozesse hat das Team eine Art „Stoppuhr“ genutzt, die JProf. Helml mitentwickelt hat. Dabei beobachteten sie den Auger-Meitner-Effekt, einen Abregungsprozess, der bei allen leichteren Elementen und somit auch bei organischen Molekülen vorkommt. Das Forschungsteam richtete im Experiment Röntgenstrahlung auf das Gas Stickstoffmonoxid. Ein Elektron in einer kernnahen Schale wird dadurch in einen hochenergetischen Zustand gehoben und bleibt gerade noch an das Atom gebunden – von diesem Zwischenzustand gibt es verschiedene Varianten, die der Röntgenstrahl alle zur selben Zeit im Molekül auslösen kann. Dies sind die kernangeregten Zustände des Moleküls. „Damit kein Schaden entsteht, beispielsweise das Molekül in seine Bestandteile Stickstoff und Sauerstoff zerfällt, möchte es sich schnell wieder ‚abreagieren‘“, erklärt JProf. Helml. Um dies zu tun, füllt ein anderes Elektron die entstandene Lücke und wird näher an den Kern gezogen. Dadurch wird zusätzliche Energie frei, die von einem dritten Elektron aufgenommen wird und das Atom verlässt – dieses Elektron nennt man „Auger-Elektron“.

Anzeichen für kohärenten Energiezustand

Mit der „Stoppuhr“ konnten die Physiker*innen nun messen, wie viele Auger-Elektronen zu welchem Zeitpunkt in welchem Winkel emittiert werden und welche Energie sie dabei besitzen (siehe Grafik). Dabei entsteht eine exponentielle Verlaufskurve, bei der am Anfang sehr viele und im zeitlichen Verlauf immer weniger Elektronen emittiert werden. In dem Experiment konnte das Forschungsteam diese Messung zum ersten Mal in Stickstoffmonoxid vornehmen. Bei der Auswertung machten die Forscher*innen zudem eine ungewöhnliche Entdeckung: Zu einem Zeitpunkt, in dem die Zahl der emittierten Elektronen eigentlich abnehmen sollte, stieg sie für wenige Attosekunden erneut an; die Verlaufskurve zeigte also eine Zwischenerhöhung. Bei einer Änderung der Photonenenergie des Röntgenpulses konnten die Forscher*innen eine Modulation der Erhöhung messen, was ein Anzeichen eines kohärenten Energiezustands ist.

Das Bild zeigt eine Grafik eines Experiments mit Auger-Elektronen © Greg Stewart​/​SLAC National Accelerator Laboratory
Mit einer Art Stoppuhr konnten die Physiker*innen messen, wie viele Auger-Elektronen zu welchem Zeitpunkt in welchem Winkel das Gas Stickstoffmonoxid verlassen und welche Energie sie dabei besitzen.

„Indem wir die Photonenenergie durchstimmen, können wir die Kohärenz bewusst verstärken oder abschwächen. Dadurch können wir den Zerfall des angeregten Zustandes zeitlich kontrollieren“, erklärt JProf. Helml. „Die zeitaufgelösten Energien der emittierten Auger-Elektronen sind außerdem sehr sensible Sonden für kurzlebige Übergangszustände des Moleküls und können viel über seine grundlegenden Eigenschaften verraten.“

Zusammenarbeit mit der Stanford University

Die Messungen fanden unter Federführung der Stanford-Wissenschaftler Siqi Li, Taran Driver und James P. Cryan am SLAC National Accelerator Laboratory in den USA statt. Dort steht einer von weltweit nur fünf Röntgenlasern, die den benötigten hochenergetischen Bereich abdecken. Die Beobachtungen der Forscher*innen könnten zukünftig ermöglichen, solche Überlagerungszustände gezielt herzustellen und genauer zu untersuchen. Dies könnte beispielsweise Rückschlüsse auf die genauen Abläufe bei der Beschädigung biologischer Proben wie Proteinen oder DNA erlauben oder auch die gezielte Kontrolle von Bindungsstellen in Molekülen ermöglichen.

Originalpublikation

Zur Person

Wolfram Helml ist seit August 2018 Juniorprofessor am Zentrum für Synchrotronstrahlung (DELTA) im Bereich Beschleuniger- und Röntgenphysik der Fakultät Physik. Er stammt aus Linz an der Donau in Österreich.  Helml studierte Physik an der Alma Mater Rudolphina in Wien und graduierte dort mit einer Diplomarbeit im Bereich der theoretischen Teilchenphysik. Für die Dissertation wechselte er ins experimentelle Fach ans Max-Planck-Institut für Quantenoptik in Garching bei München, wo er 2012 seine Promotion mit Auszeichnung abschloss. Mit einem Marie-Curie-Stipendium der Europäischen Union ging Helml anschließend für knapp zwei Jahre an den Stanford Linear Accelerator in Kalifornien, USA, und forschte danach an der Technischen Universität München. Zuletzt leitete er das Teilprojekt Laser-driven Undulator X-ray source im Centre for Advanced Laser Applications an der Ludwig-Maximilians-Universität München.

Portrait eines Mannes © Privat