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Interview mit Prof. Manfred Bayer

„Mir haben die Studierenden noch nie so gefehlt“

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Portraitfoto von Prof. Manfred Bayer © Stephan Schütze
Im September tritt Prof. Manfred Bayer sein Amt als Rektor an.

Zum 1. September wechselt Prof. Manfred Bayer als Nachfolger der freiwillig scheidenden Rektorin Prof. Ursula Gather ins Rektorat auf dem Campus Süd. Ruhr-Nachrichten-Reporter Oliver Volmerich sprach mit ihm über seine Beweggründe und Pläne.

Erst einmal herzlichen Glückwunsch zur Wahl. Sie wurden mit 61-Ja- und einer Nein-Stimme gewählt. Hat Sie die Deutlichkeit überrascht? 
 
Es ist mit Sicherheit schöner, so gewählt zu werden, als mit einer knappen Mehrheit oder in mehreren Wahlgängen. Gerade am Anfang ist es schon wichtig, dass die Universität in großer Breite hinter einem steht. 
 
Sie sind an der Uni kein Unbekannter, in der breiten Öffentlichkeit schon. Wie man ein wenig am Zungenschlag hört, kommen Sie ursprünglich nicht aus dieser Region. 
 
Ich habe das tragische Schicksal, Bayer zu heißen, aber Franke zu sein. Geboren bin ich in der Nähe von Schweinfurt, habe dort meine Kindheit verbracht. Die wenigsten hier wissen vielleicht: Das ist auch eine Industriestadt. Es war und ist das Zentrum der Kugel- und Wälzlagerindustrie. Ich bin also in einer Industriestadt groß geworden.  
Und als ich dann nach dem Studium in Würzburg hierher kam, habe ich den Eindruck gehabt, ich komme in eine Stadt, die wie meine Heimatstadt ist, nur um den Faktor 10 größer. Insofern hatte ich hier überhaupt keine Anpassungsschwierigkeiten, weil der Menschenschlag rein von der Einstellung her sehr ähnlich ist. 

Man hört ja oft, dass es schwierig sei, hochrangige Wissenschaftler nach Dortmund zu holen, weil das Image schlecht ist. Das war bei Ihnen offensichtlich nicht der Fall. 

Ob ich ein hochrangiger Wissenschaftler bin, das sollen andere entscheiden. De facto war Dortmund meine erste Bewerbung um eine Professur überhaupt. Und ich hatte das Glück, dass das sofort funktioniert hat. Ich bin mit 36 Jahren 2002 hierhergekommen. Was natürlich auch eine Rolle für meine Entscheidung spielte: Die Dortmunder Physik hatte immer schon einen sehr guten Ruf. Ich hatte den Eindruck, hier ist ein Kreis von Kollegen, mit dem man gut zusammenarbeiten kann. Ich habe mich hier sofort willkommen gefühlt, nicht nur von den Kollegen, sondern auch in der Stadt. Das ist das Schöne hier. Generell kann man hier ganz prima leben. Man findet in dieser Stadt alles, was man zum Leben braucht. Und trotzdem ist Dortmund wesentlich entspannter, als man das von anderen Großstädten kennt. 

Altes Porträtfoto von Manfred Bayer © Jürgen Huhn​/​TU Dortmund
Manfred Bayer wurde 2002 im Alter von 36 Jahren Professor an der TU Dortmund.

Sie sind jetzt also echter Lokalpatriot? 

Das kann man so sagen. Was mir fehlt, ist eigentlich nur die fränkische Bratwurst und der fränkische Wein. Beides ist ja aber per Internet erhältlich. 

Sie stehen aber auch sehr stark für die Zusammenarbeit der Ruhr-Universitäten, haben 2019 eine geförderte gemeinsame Professur der Universitätsallianz Ruhr bekommen. Wie steht es um die Zusammenarbeit der Hochschulen im Ruhrgebiet? 
 
Diese Zusammenarbeit ist unheimlich wichtig und wird noch wichtiger werden. Was Lehre und Studium anbetrifft, funktioniert das alles schon sehr gut. Das weiß ich von meinem eigenen Sohn, der hier in Dortmund Maschinenbau studiert. Der besucht Vorlesungen in Bochum, legt dort die Prüfungen ab und sie werden völlig problemlos hier anerkannt. Das ist für die Studierenden ein sehr attraktives Angebot. Denn keine Universität ist mehr in der Lage, alle Themengebiete abzudecken, weil viele Fächer einfach zu divers geworden sind. Aber in diesem Verbund tun sich ganz andere Möglichkeiten auf. 
 
Wo wir sicher noch besser werden müssen, ist im Bereich der Forschung. Als Forscher wird man ja eher als Einzelkämpfer ausgebildet in Konkurrenz mit den anderen. Man gewinnt vielleicht wissenschaftliche Preise, weil man sich gegen andere durchsetzt. Wenn man aber einmal in einem kooperativen Verbund war, sieht man, welchen Mehrwert das bringt – sowohl an Ideen, als auch an Möglichkeiten Gelder einzuwerben – und dass sich das unglaublich auszahlt. 
 
So kam es auch zu der UA-Ruhr-Professur. Sie ist auch wichtig, um in Konkurrenz mit anderen Hochschulstandorten bestehen zu können. Denn auch in anderen Regionen bilden sich ja Verbünde. Um die nötige Sichtbarkeit zu behalten und ein attraktiver Studienort zu bleiben, ist es wichtig, dass wir unsere Kräfte bündeln. Das mit der UA-Ruhr-Professur müssen wir jetzt mit Leben füllen, was im Moment natürlich wegen der eingeschränkten Kontaktmöglichkeiten etwas schwieriger ist. 
 
Internationale Kontakte werden natürlich auch immer wichtiger. Wir müssen das Beste tun, um auch aus anderen Ländern Talente hierhin zu holen. Das ist ein wichtiger Input nicht nur kultureller Art, sondern auch an Ideen. Davon können wir nur profitieren. 

Dortmund will sich ja nun in Sachen Image stärker als Wissenschaftsstadt vermarkten. Funktioniert das Ihrem Eindruck nach? 

Bunte Bilder an einer Wand © O. Schaper​/​TU Dortmund
Eröffnung der Ausstellung „Tradigital“ im Dortmunder U: Mit der Hoch­schul­etage kommt die Universität in die Stadt.

Ich glaube schon. Als ich hierher kam, hatte ich manchmal den Eindruck, dass nicht einmal jeder Dortmunder wusste, dass Dortmund eine Universität hat. Ich glaube, das hat sich mittlerweile fundamental gewandelt. Jeder weiß es. Und die positiven Folgen sind ja auch unübersehbar. Und das nicht nur, weil die Universität stärker in die Stadt hineinwirkt, etwa durch Vortragsreihen oder die Hochschul-Ebene im U. 
 
Nicht zuletzt wäre der Technologiepark ohne die Universität und die Fachhochschule unmöglich gewesen. Wenn man sieht, wie viele Arbeitsplätze dort entstanden sind, trägt das natürlich dazu bei, dass die Universität in der Stadt besser wahrgenommen wird.

Die Aussage, Dortmund will Wissenschaftsstadt werden, ist schon gar nicht mehr richtig. Ich glaube, Dortmund ist Wissenschaftsstadt. 

Das unterstreichen ja auch die Zahlen. Allein an der TU gibt es mittlerweile 34.000 Studierende. Geht das so weiter mit dem Wachstum?  
 
Das liegt nicht so ganz in unserer Hand. Die Zahl wird sicherlich nicht mehr dramatisch anwachsen, aber vermutlich auch nicht stark sinken. 

Deshalb wird auch weiter gebaut auf dem Campus. Es gibt also noch immer großen Raumbedarf? 
 
Der Raumbedarf ist sogar massiv. Das sieht man schon allein an der Belegung der Büros in meinem Bereich. Wo eigentlich nicht mehr als zwei Leute sitzen sollten, sitzen vier oder fünf, weil es einfach nicht anders geht. Wenn wir neue Wissenschaftler berufen, ist schon immer die Frage, wo kriegen wir noch genügend Platz, um zum Beispiel deren Labore unterzubringen. Die Universität, so wie sie jetzt ist, war nun einmal für eine deutlich kleinere Zahl an Studierenden ausgelegt. Und es ist ja auch viel wissenschaftliches Personal dazugekommen. 

Wenn also die Fachhochschule einen neuen Campus auf dem HSP-Gelände bekäme, wären für Sie die dann freiwerdenden Gebäude also hoch willkommen? 
 
Es würde mich natürlich auch für die Fachhochschule freuen, wenn sie wirklich an einem Ort konzentriert wäre. Die Gebäude hier würden selbstverständlich eine große Entlastung schaffen. Wir müssten nicht Geld des Landes in den Bau neuer Gebäude stecken, wenn wir die vielleicht übernehmen könnten. 

Sie waren lange Zeit Vorsitzender des Senats, der Vertretung der Uni-Beschäftigten, wissen also, wo der Schuh drückt. Wo drückt er denn? 
 
Ein großes Problem für die wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ist eine verlässliche Karriereplanung. Wenn die Finanzierung der Universitäten stabil bleibt, so wie es zugesagt ist, dann können wir auch offensiv daran gehen, Stellen für Hochschullehrende zu schaffen. Wobei natürlich an einer Universität Lehre und Forschung eine Einheit bilden. 
 
Es gab ja mal die Empfehlung des Wissenschaftsrats, dass ein Viertel der wissenschaftlichen Stellen mit permanenten Leuten besetzt werden können. Der Rest soll für Qualifizierungsmaßnahmen wie Promotionen und Post-Doktoranden freigehalten werden. Da müssen wir irgendwann einmal kritische Bilanz machen, wie wir damit umgehen. 

Schauen wir mal auf die aktuelle Lage mit der Corona-Pandemie. Die Uni ist fast menschenleer, das Semester findet für die Studierenden digital statt. Funktioniert das? 
 
Ich würde sagen, unter den gegebenen Umständen funktioniert es gut, weil wirklich alle mitziehen. Ich habe schon den Eindruck, dass die Studierenden das Angebot wahrnehmen. Ich habe zum Beispiel eine Vorlesung donnerstags von 8 bis 10 Uhr in Physik, im Wesentlichen für Chemie-Studierende und andere Nebenfächler. Da ist die Anzahl der Studierenden auch morgens um 8 Uhr konstant bis zum Ende der Vorlesung. 
 
Trotzdem muss ich sagen: Das kann nur eine Übergangszeit sein. Wir sind eine Präsenz-Universität. Ich glaube, es ist ganz wichtig, dass die Studierenden nicht nur persönlichen Kontakt zum Lehrpersonal haben, sondern auch untereinander. Das gehört zum Teil der Ausbildung. 
 
Was die Lehre betrifft: Wir machen das, so gut wir können. Aber ich muss sagen: Mir haben die Studierenden noch nie so gefehlt wie im Moment. Denn man spricht da beim Videostream in seine Kamera und sein Mikrofon, kriegt aber nicht ein unmittelbares Feedback. Das fehlt komplett.

Wie sind die Perspektiven mit Blick über das laufende Sommersemester hinaus? 

Ich kann das schlecht einschätzen. Wir bereiten uns natürlich darauf vor, langsam wieder hochzufahren. Gerade in experimentellen Wissenschaften sind wir natürlich massiv daran interessiert, dass wir unsere Experimente wieder starten und arbeiten an Konzepten dafür. Das wird dann so ein bisschen der Testlauf sein für Praktika. Auch die werden dann sicherlich anders ablaufen. Und das wird sicherlich noch nicht im Sommersemester gehen, sondern vielleicht nach der Klausurenphase im August in konzentrierter Form mit Blockkursen. Aber ich finde es aber grundsätzlich wirklich bemerkenswert, wie sich alle einbringen, wie alle versuchen, das Beste aus der Sache zu machen. 

Ein von Bäumen gesäumter Weg im Sonnenschein, im Hintergrund links ein großes Gebäude. © Aliona Kardash​/​TU Dortmund
Leerer Campus Nord im April 2020: Aktuell findet die Lehre an der TU Dortmund digital statt.

Zurück zur Rolle der Universität in der Stadt und darüber hinaus. Ein Thema war in den letzten Jahren der Masterplan Wissenschaft, der mit der Stadt entwickelt wurde. Wie bewerten Sie das Erreichte und wo haben Sie noch Wünsche? 
 
Der Masterplan ist sehr sehr wichtig. Da ist zweifelsfrei auch schon viel passiert. Man kann sich aber nicht darauf ausruhen. Der Transferbereich ist immer wichtiger geworden. Die Universität stellt sich dieser Herausforderung. Wobei unser wichtigster Transfer immer noch die Absolvierenden sind. Das wird auch immer so bleiben. Das ist ein Kapital, das man mit Geld gar nicht aufwiegen kann. Dann ist da natürlich der Transfer in die Wirtschaft, wenn es gilt, aus guter Forschung und Lehre Ideen und Produkte in Firmen umzusetzen. Auch da sehe ich Dortmund auf gutem Weg. 

Fühlen Sie genug Unterstützung durch die Stadt für die Hochschulen?  
 
Ja. Es gibt vielleicht kleine Punkte, über die man noch reden kann. Es ist etwa für internationale Studierende ein Problem, dass die Ausländerbehörde völlig überlastet ist. Wenn man für sechs Monate oder ein Jahr einen Gast bekommt, wäre es schön, wenn man ihm schneller einen Termin verschaffen könnte. 

Sie haben bei Ihrer Wahl gesagt: „Ziel muss sein, die guten Bedingungen für Studierende an der TU Dortmund weiter zu optimieren und zugleich das hohe Forschungspotenzial zu stärken, um im Wettbewerb erfolgreich bestehen zu können.“ Gibt es dafür schon Ideen?  
 
Bei der Betreuung der Studierenden hatte ich zwei konkrete Punkte angesprochen. So lange die Zukunftspakt-Mittel in dieser Höhe erhalten bleiben, sollten wir offensiv daran gehen, Stellen für Hochschullehrende zu generieren, um das Betreuungsverhältnis zu verbessern.  
 
Eine andere Maßnahme, die mir vorschwebt: Viele der Kolleginnen und Kollegen, die jetzt in Ruhestand gehen, sind in Topform, würden vielleicht auch noch gerne etwas machen. Sie haben sich über ihr Leben hinweg ja auch ein Erfahrungspotenzial angeeignet, auf das man ungern verzichten mag. Deshalb hatte ich die Idee einer Senior-Professur in den Raum geworfen. Beides wären Maßnahmen, die uns dabei helfen, Studierende noch besser zu unterstützen. 
 
Forschung ist mir natürlich extrem wichtig, wie man auch an meinem Lebenslauf sieht. Es gibt aber wohl keinen Bereich der Forschung mehr, der nicht in einem internationalen Wettbewerb steht. Daraus muss man entsprechende Ansprüche ableiten. Um uns dem internationalen Wettbewerb zu stellen, müssen wir gute Leute hierher holen. Das ist durchaus eine Herausforderung. 
 
Sie haben ja selbst gesagt: Dortmund hat nicht unbedingt den attraktivsten Ruf, aber wenn man wirklich jemanden haben will, muss man vielleicht auch mal unkonventionelle Wege gehen. Da muss man gezielt Leute einladen und ihnen die Möglichkeiten hier zeigen. Die Forschungsmöglichkeiten sind hier genauso gut - oder für meinen Bereich oftmals sogar besser - als an anderen Standorten. Auch vor dem Wettbewerb mit amerikanischen Elite-Unis muss man nicht zurückschrecken. Wenn die Leute das Potenzial hier erkennen und sehen, dass man in dieser Stadt prima leben kann, dann haben wir sehr gute Bedingungen, Top-Leute hierher zu bekommen. Das haben wir ja auch schon bewiesen. 

Bleibt zum Schluss die Gretchenfrage. Sie haben sich hier viel aufgebaut, sind in der Forschung aktiv. Warum jetzt der Wechsel ins Rektor-Amt? 
 
Ich habe immer ehrlich gesagt, dass ich die Forschung nicht ganz aufgeben möchte. Aber es ist natürlich klar: Das Rektor-Amt geht vor und man wird irgendwie die eigene Forschungstätigkeit da herumfließen lassen müssen. Das kenne ich aber schon ein bisschen. Ich bin ja jetzt schon Sprecher eines Sonderforschungsbereiches mit St. Petersburg und Standortsprecher eines anderen Sonderforschungsbereichs mit Paderborn. Auch damit ist ein gewisser administrativer Aufwand verbunden. 
 
Das Rektor-Amt ist kein Amt, um das ich mich gebalgt hatte. Ich musste am Anfang schon ein bisschen geschoben werden. Ich finde aber auch: Die Universität hat sich die letzten Jahre durchaus gut entwickelt, so wie auch das städtische Umfeld. Das will ich gern entwickeln. Diese Uni hat einem viel gegeben, hat mir erlaubt, fast 20 Jahre Forschung auf dem Niveau zu machen, das ich mir gewünscht habe. Dann ist es vielleicht einmal Zeit, ein bisschen zurückzugeben.