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Lösungsmittelforschung zwischen Chile und dem Ruhrgebiet

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Eine Person mit Mundschutz gibt über eine Pipette eine Flüssigkeit in eine Petrischale. © Robert Przybys​/​stock.adobe.com

Biokatalysatoren steuern chemische Reaktionen. Wie gut die Reaktion funktioniert, hängt jedoch auch von der Umgebung ab, in der die Reaktion stattfindet – dem Lösungsmittel. Prof. Gabriele Sadowski, Dr. Christoph Held und Nicolás Gajardo von der Fakultät Bio- und Chemieingenieurwesen untersuchen im international agierenden Exzellenzcluster RESOLV, wie Lösungsmitteleffekte die industrielle Nutzung von Biokatalyse effizienter machen können.

Die Arbeit in einem international agierenden Exzellenzcluster ist etwas Besonderes. Nicolás Gajardo ist Chemieingenieur und promoviert an der Fakultät Bio- und Chemieingenieurwesen der TU Dortmund im Rahmen des Exzellenzclusters RESOLV – einem Verbundprojekt, in dem die TU Dortmund mit vielen Forschenden vertreten ist. RESOLV zieht Wissen­schaft­ler*innen aus der ganzen Welt an, die aus unterschiedlichen Disziplinen kommen, etwa Physik, Chemie oder Biochemie. „Als ich für meine Promotion aus Chile nach Deutschland kam, war ich im Bereich der chemischen Thermodynamik gut ausgebildet. Ich wusste allerdings nicht besonders viel über Enzyme, brauchte das Wissen aber für mein Projekt. Das interdisziplinäre Umfeld war deswegen sehr wichtig für mich“, sagt Gajardo. Überhaupt schätzt er den Austausch mit den anderen Forschenden: „Wenn ich Unterstützung brauche, zum Beispiel bei einem Experiment, gibt es bei RESOLV immer Wissen­schaft­ler*innen, die mir helfen können.“

An der Fakultät Bio- und Chemieingenieurwesen forscht Gajardo in der Arbeitsgruppe „Bioreactions and Biothermodynamics“, die von Dr. Christoph Held geleitet wird. Gemeinsam mit anderen Mitgliedern von RESOLV untersucht Gajardo chemische Reaktionen, die mit Hilfe von Biokatalysatoren ablaufen. Katalysatoren setzen die Aktivierungsenergie herab und sorgen dafür, dass Stoffe bei geringerem Energieaufwand miteinander reagieren oder überhaupt eine Reaktion stattfindet. In der Biokatalyse übernehmen vor allem Enzyme diese Aufgabe – komplexe biologische Moleküle, die auch in der Natur chemische Reaktionen beschleunigen.

Das Foto zeigt eine große Anzahl an Spiralen, Fäden und Kugeln, die modellhaft die Candida boidinii Formiat-Dehydrogenase darstellen sollen. © Nicolás Gajardo-Parra
Nicolás Gajardo erforscht Candida boidinii Formiat-Dehydrogenase. Das Enzym kann Ameisensäure und NAD+ zu Kohlendioxid und zu dem wichtigen Cofaktor NADH umwandeln.

Gajardo interessiert sich besonders für ein Enzym – mit dem komplizierten Namen Candida boidinii Formiat-Dehydrogenase, das Ameisensäure und NAD+ zu Kohlendioxid und zu dem wichtigen Cofaktor NADH umwandeln kann. Die Reaktion funktioniert in beide Richtungen. Sie kann sowohl zur Gewinnung von NADH genutzt werden, das für die Herstellung von Feinchemikalien und Medikamenten wichtig ist, als auch, um Kohlendioxid zu binden, das zum Beispiel bei Verbrennungsprozessen entsteht. Das Problem dabei: Das Enzym ist bei höheren Temperaturen nicht stabil genug und die Reaktion verläuft zu langsam. Beides verhindert bislang eine industrielle Anwendung. „Wir schauen uns daher an, wie die Reaktion optimiert werden kann“, sagt Gajardo. In der Natur passiert das zum Beispiel durch Osmolyte: lösliche Substanzen, die Teil des Reaktionsgemischs sind und einen Einfluss auf die Stabilität des Enzyms sowie auf die Geschwindigkeit und die Ausbeute der Reaktion haben.

Zwei Hände halten mehrere Tablettenpackungen. © Robert Kneschke​/​stock.adobe.com
NADH wird unter anderem für die Herstellung von Feinchemikalien, etwa für Waschpulver und Medikamente, gebraucht.
Das Foto zeigt eine Hand, die Waschpulver in eine Waschmaschine gibt. © Sergiy Serdyuk​/​stock.adobe.com

„Solche Lösungsmitteleffekte spielen eine zentrale Rolle in der Biokatalyse“, sagt Held. Biokatalyse findet in der Natur meist in Wasser statt. Forschende wissen allerdings schon länger, dass das Lösungsmittel beeinflusst, wie gut die Ausgangsstoffe umgewandelt werden. Chemische Reaktionen erreichen irgendwann ein Gleichgewicht: Ab diesem Punkt werden die Ausgangsstoffe nicht mehr zu Endprodukten umgesetzt.

„Nehmen wir an, dass ein Ausgangsstoff in Wasser zu 50 Prozent umgewandelt wird. Es kann nun sein, dass ein anderes Lösungsmittel das chemische Gleichgewicht so verändert, dass 70 Prozent des Ausgangsstoffs umgewandelt werden und die Reaktion außerdem schneller abläuft“, sagt Held. „Wir erforschen, welche Effekte es hat, andere Lösungsmittel zu benutzen oder dem ursprünglichen Lösungsmittel weitere Substanzen zuzusetzen – zum Beispiel wie sich dadurch das chemische Gleichgewicht, die Reaktionsgeschwindigkeit oder die Stabilität des Enzyms verändern.“

Lösungsmittel maßschneidern

Dazu entwickeln die Forschenden thermodynamische Modelle, die beschreiben, wie die biokatalysierten Reaktionen ablaufen. Ob das Modell funktioniert, überprüfen sie anschließend in Experimenten. Ausschließlich experimentell zu arbeiten, wäre extrem zeit- und kostenaufwändig, so Held: „Ein geeignetes Modell lässt sich auf unterschiedliche Lösungsmittel oder Lösungsmittelgemische ausweiten. Dadurch sind wir in der Lage, maßgeschneiderte Lösungsmittel zu entwickeln: Wir können nicht nur die chemische Reaktion optimieren, sondern zum Beispiel auch Lösungsmittel finden, die besonders günstig oder besonders umweltfreundlich sind.“

Das Team um Prof. Gabriele Sadowski untersucht, wie neue Lösungsmittel den Biokatalyse-Prozess effizienter machen können, zum Beispiel indem sie die Stabilität des Enzyms beeinflussen. Dazu entwickeln sie thermodynamische Modelle und überprüfen diese experimentell.

Das Exzellenzcluster RESOLV untersucht seit 2012 lösungsmittelabhängige Prozesse. RESOLV steht für „Ruhr Explores Solvation“: Rund 200 Mitglieder aus sechs Forschungseinrichtungen des Ruhrgebiets arbeiten in diesem Verbundprojekt. Die Bundesregierung und das Land NRW fördern RESOLV im Rahmen der Exzellenzstrategie. „Viele wichtige chemische und biochemische Reaktionen finden in flüssiger Phase statt, vor allem biokatalytische Reaktionen. Das Exzellenzcluster RESOLV zeigt, wie wichtig Forschung in diesem Bereich ist. Dazu versuchen wir einen Beitrag zu leisten“, sagt Prof. Gabriele Sadowski. Sie ist Professorin für Thermodynamik an der Fakultät Bio- und Chemieingenieurwesen und Principal Investigator bei RESOLV, also eine der maßgeblich verantwortlichen Wissen­schaft­ler*innen des Clusters.

Wir können nicht nur die chemische Reaktion optimieren, sondern zum Beispiel auch Lösungsmittel finden, die besonders günstig oder besonders umweltfreundlich sind.

Dr. Christoph Held

Die Dortmunder Arbeitsgruppe „Bioreactions and Biothermodynamics“ ist an den RESOLV-Forschungsbereich „Solvatation unter Extrembedingungen“ angegliedert. „Für die Biokatalyse ist schon ein Lösungsmittel, das nicht Wasser ist, eine Extrembedingung. Wir schauen uns zudem an, welchen Einfluss Druck oder Temperatur auf chemische Reaktionen haben. Wie Biokatalyse unter solchen Bedingungen funktionieren kann, zeigt übrigens auch die Natur: Bakterien und andere Organismen schaffen es, in der Tiefsee oder in Vulkankratern zu überleben“, sagt Held. Gajardo, Held und Sadowski versuchen unter anderem, solche natürlichen Mechanismen nachzuahmen und für die Industrie nutzbar zu machen.

Im RESOLV-Konsortium arbeiten internationale Forschende auf unterschiedlichen Ebenen zusammen. 32 der 81 Promovierenden kommen aus dem Ausland. Bei den bereits Promovierten sind es sogar 22 von 26. „Vor allem zu Beginn war das internationale Umfeld eine große Unterstützung“, erinnert sich Gajardo. Er kam 2020 nach Dortmund – mitten in der Pandemie. „Das war nicht so einfach: Das Labor war strengen Richtlinien unterstellt und konnte nur von wenigen genutzt werden. Daher musste ich einen größeren Teil meiner Forschung in die Theorie verlegen. Sowohl die Arbeitsgruppe hier in Dortmund als auch die anderen Forschenden in RESOLV haben es mir ein bisschen leichter gemacht, in Deutschland anzukommen.“

Das Foto zeigt Herrn Nicolás Gajardo-Parra, der mit Schutzkleidung im Labor sitzt. Vor ihm steht u.a. ein aufgeklappter Laptop. © Hesham Elsherif
Im Labor untersuchen Gajardo, Held und Sadowski, wie sich die Reaktionsgeschwindigkeit von Enzymen bei hohem Druck verändert.
Herr Nicolás Gajardo-Parra steht mit Schutzkleidung im Labor. Vor ihm stehen einige Apparaturen. © Hesham Elsherif
Die Wissen­schaft­ler*innen testen außerdem, wie das Lösungsmittel die thermische Stabilität der Enzyme beeinflusst.

Der Erstkontakt mit Held und Sadowski kam bereits im Winter 2019 zustande: „Zu dem Zeitpunkt habe ich noch in Santiago de Chile studiert. Der Betreuer meiner Masterarbeit war zuvor Postdoc bei RESOLV und hat mir ein Praktikum bei Christoph Held vermittelt. Ein Jahr später hat mir Christoph dann die Ausschreibung geschickt“, sagt Gajardo. Für seine Promotion an der RESOLV-Graduiertenschule bekommt Gajardo ein Stipendium des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD). Seine wissenschaftlichen Kontakte nach Chile hat er aufrechterhalten – und begleitet nun selbst Promovierende aus Chile.

Internationale Partnerschaften mit mehr als 20 Instituten

„Ein Projekt wie RESOLV zieht die besten Wissen­schaft­ler*innen aus der ganzen Welt an und ist dadurch ein Multiplikator für unsere Forschung“, sagt Sadowski. RESOLV hat zudem internationale Partnerschaften mit mehr als 20 Instituten, die auf dem Gebiet der Lösungsmittelforschung arbeiten. „Das ermöglicht uns, ein Netzwerk mit anderen Wissen­schaft­ler*innen aufzubauen, zum Beispiel über Konferenzen oder Forschungsaufenthalte. Solche Netzwerke sind sehr wertvoll“, so Held. Wie man sich auf der internationalen Bühne gut präsentiert, lernen Gajardo und die anderen Doktorand*innen auch in der RESOLV-Graduiertenschule – zum Trainingsprogramm gehören zum Beispiel Vorträge auf Workshops und Konferenzen sowie ein Forschungspraktikum im Ausland.

RESOLV wird über die Exzellenzstrategie aktuell in einer zweiten Förderperiode unterstützt: Zwischen 2019 und 2025 erhält das Cluster 41,7 Millionen Euro. Sadowski sieht auch Potenziale darüber hinaus: „Dank RESOLV haben wir ein tiefgehendes Verständnis dafür, welche Rolle Lösungsmittel in chemischen Reaktionen spielen. Diese Erkenntnisse sind für die Industrie relevant: Sie helfen zum Beispiel dabei, Kohlendioxid für die Herstellung von Chemikalien wiederzuverwerten oder Energie effizienter umwandeln und speichern zu können.“

Text: Hanna Metzen


Foto von Frau Prof. Gabriele Sadowski, die auf einem Stuhl sitzt © BCI​/​TU Dortmund

Prof. Dr. Gabriele Sadowski ist seit 2001 Professorin für Thermodynamik an der Fakultät Bio- und Chemieingenieurwesen. Sadowski studierte Chemie an der Technischen Hochschule Leuna-Merseburg, wo sie 1991 auch promovierte. 1992 wurde sie wissenschaftliche Assistentin an der TU Berlin, im Jahr 2000 habilitierte sie sich dort und erhielt ein Jahr später den Ruf an die TU Dortmund. Für ihre Forschungsleistungen wurde Prof. Sadowski 2011 mit dem Gottfried-Wilhelm-Leibniz-Preis ausgezeichnet, dem höchstdotierten Forschungspreis Deutschlands. Seit 2012 forscht sie im Exzellenzcluster RESOLV. Sie ist außerdem Initiatorin und Sprecherin des neuen Forschungsbaus CALEDO, der aktuell an der TU Dortmund realisiert wird. 2022 wurde Sadowski in den Wissenschaftsrat der Bundesrepublik Deutschland berufen.

Dr. Christoph Held ist seit 2018 Akademischer Oberrat an der Fakultät Bio- und Chemieingenieurwesen. Er studierte Chemieingenieurwesen an der TU Dortmund und promovierte hier 2011 auf dem Gebiet der Thermodynamik. Für seine Dissertation erhielt er den europäischen EFCE-Preis für Thermodynamik und Transporteigenschaften. Seit 2012 leitet er die Arbeitsgruppe „Bioreactions and Biothermodynamics“. 2017 schloss er seine Habilitation ab. 2018 wurde er mit dem Arnold-Eucken-Preis für Verfahrenstechnik ausgezeichnet. Er forscht zur Thermodynamik biochemischer reaktiver Systeme, insbesondere zur Thermodynamik von enzymatisch katalysierten Reaktionen, zur Phasentrennung komplexer Medien und zu thermodynamischen Eigenschaften komplexer biologischer Gemische.

Foto von Herrn Dr. Christopher Held © BCI​/​TU Dortmund
Das Foto zeigt Herrn Nicolás Gajardo-Parra © Hesham Elsherif

Nicolás Gajardo-Parra ist seit 2020 Doktorand an der Fakultät Bio- und Chemieingenieurwesen. Er studierte Chemieingenieurwesen an der Päpstlichen Katholischen Universität von Chile und schloss dort 2018 mit einem Master of Science ab. Für seine Promotion in der Graduiertenschule des Exzellenzclusters RESOLV erhält er ein Stipendium des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD). Seine Forschungsinteressen umfassen enzymatisch katalysierte Reaktionen, maßgeschneiderte Lösungsmittel und molekulardynamische Simulationen.

Dies ist ein Beitrag aus der mundo, dem Forschungsmagazin der TU Dortmund.

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