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Fakten gegen Fakes

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Eine junge Frau sitzt auf einem Sessel während sie an ihrem Laptop im Internet surft. © Gorodenkoff​/​stock.adobe.com

Prof. Christina Elmer und Stephan Mündges vom Institut für Journalistik leiten gemeinsam das German-Austrian Digital Media Observatory – eines von 14 europäischen Zentren, die zusammen mit Praxispartnern Des- und Falschinformation bekämpfen und wissenschaftlich untersuchen möchten.

Ein zerstörter Panzer liegt auf einem Schlachtfeld, Rauch steigt auf. Die Szene soll den ersten von Russland zerstörten westlichen Leopard-Panzer in der Ukraine zeigen. Doch das Foto stammt gar nicht aus dem Krieg gegen die Ukraine, wie die Faktencheck-Redaktion von AFP Anfang März aufdeckt. Die Journalist*innen zeigen mehrere Ungereimtheiten auf und können unter anderem mittels einer Bilderrückwärtssuche belegen, dass das Foto mindestens seit 2018 im Internet kursiert und einen Panzer zeigt, der bei Kampfhandlungen infolge des syrischen Bürgerkriegs zerstört wurde.

„Lügen und Falschinformationen hat es immer schon gegeben, aber sie verbreiten sich heute schneller als je zuvor und werden insbesondere von politischen Interessengruppen gezielt eingesetzt“, sagt Prof. Christina Elmer vom Institut für Journalistik (IJ). „Alte Fotos in neue Kontexte zu setzen, ist dabei ein gängiges und immer wiederkehrendes Muster“, ergänzt Stephan Mündges, Manager des IJ. Gemeinsam leiten sie GADMO, das German-Austrian Digital Media Observatory. In dem Projekt arbeiten das Institut für Journalistik und die Fakultät Statistik seit 2022 mit dem Austrian Institute of Technology (AIT) sowie den Faktencheck-Redaktionen der Deutschen Presseagentur (dpa), der Agence France-Presse (AFP), der Austria Press Agentur (APA) und dem Recherche-Netzwerk CORRECTIV zusammen.

Verkohlte Trümmerteile eines Panzers in einem Kriegsgebiet. © https:​/​​/​archive.ph​/​Inqxy
Dieses in den sozialen Medien kursierende Foto soll den ersten westlichen Leopard-Panzer, den Russland während des Kriegs gegen die Ukraine zerstört hat, zeigen. Tatsächlich kursiert das Foto aber mindestens seit 2018 im Netz und zeigt einen im syrischen Bürgerkrieg zerstörten Panzer.

Ziel von GADMO ist es unter anderem, Faktenchecks im deutschsprachigen Raum auf einer gemeinsamen Web­site zu bündeln und so einem möglichst breiten Publikum zugänglich zu machen. Zudem sollen Synergien geschaffen und Faktenchecker*innen in ganz Europa gestärkt werden. Denn GADMO ist Teil des internationalen, von der Europäischen Kommission geförderten Netzwerks EDMO, dem European Digital Media Observatory. Zu EDMO gehören neben GADMO noch 13 weitere regionale Zentren, die in allen Mitgliedsstaaten der Europäischen Union und Norwegen aktiv sind. „Die Zusammenarbeit mit den internationalen Partnern funktioniert sehr gut“, berichtet Mündges. „Zusätzlich zur zentralen Koordinierungsstelle am European University Institute in Florenz, mit der ich in engem Austausch stehe, gibt es verschiedene Arbeitsgruppen, in denen Vertreter*innen aller Zentren zusammenkommen, sich austauschen und gemeinsam Projekte vorantreiben.“ Monatlich werden von EDMO Fact Checking Briefs veröffentlicht mit kurzen Berichten über die Themen, an denen die Faktenchecker*innen derzeit arbeiten. „Diese richten sich einerseits an die breite Öffentlichkeit und sind andererseits für Journalist*innen in ganz Europa interessant, da bestimmte Narrative häufig in weitere Länder überschwappen. So kann der Service auch als Frühwarnsystem dienen“, sagt Mündges.

German-Austrian Digital Media Observatory (GADMO)

  • Förderung: seit November 2022 für zweieinhalb Jahre von der Europäischen Kommission
  • Netzwerk: European Digital Media Observatory (EDMO) mit insgesamt 14 europäischen Zentren
  • Technischer Partner ist das Athens Technology Center
  • Beteiligt von der TU Dortmund: Prof. Christina Elmer, Stephan Mündges und Prof. Henrik Müller (Institut für Journalistik) sowie Prof. Carsten Jentsch und Prof. Jörg Rahnenführer (Fakultät Statistik)
  • Vier Ziele:
    1. Zugang zu deutschsprachigen Faktenchecks verbessern
    2. Desinformationenkampagnen und Faktenchecks wissenschaftlich untersuchen, medienforensische KI-Werkzeuge entwickeln
    3. Medienkompetenz in Deutschland und Österreich fördern
    4. Digitale Plattformen beobachten

Fragmentierung der Gesellschaft

Wie groß ist denn die Gefahr, die von Desinformationskampagnen ausgeht? „Wir wollen uns mit überzogenen Warnungen – wie dem Zerbrechen der Gesellschaft oder der Zerstörung der Demokratie – nicht unglaubwürdig machen“, sagt Mündges. „Unbestritten ist aber, dass wir klare Effekte wie eine deutliche Radikalisierung an den ideologischen Rändern beobachten.“ Gezielt eingesetzte Falschinformationen vergiften öffentliche Debatten und es besteht die Gefahr, dass gesellschaftliche Konflikte angefacht werden und grundsätzliches Vertrauen in Institutionen verloren geht. Eine Zunahme manipulierter Inhalte kann dazu führen, dass Bürger*innen nicht mehr wissen, was sie eigentlich noch glauben und wem sie vertrauen können. Das führt irgendwann zu Resignation – und genau diesen Mechanismus, Zweifel und Misstrauen zu säen, machen sich Desinformationsakteure zunutze.

„Auf diese Weise gehen gesellschaftliche Partizipation und demokratische Legitimation verloren. Statt einer Spaltung ist also eher eine Lähmung und Fragmentierung der Gesellschaft zu befürchten“, erklärt Mündges. Wer etwa in einschlägigen Telegram-Gruppen kontinuierlich mit Falschinformationen versorgt wird, kann irgendwann durch seriösen Journalismus kaum mehr erreicht werden. „Daher ist es umso wichtiger, dass der Qualitätsjournalismus sich selbst noch stärker legitimiert, indem er immer auch die Methoden der journalistischen Recherche und Verifikation vermittelt und somit nachvollziehbar macht, warum die eigene Arbeit glaubwürdig ist“, sagt Elmer.

Neben den Faktenchecks bildet die begleitende Forschung eine zentrale Säule von GADMO und den übrigen Zentren. Dabei arbeiten das IJ und die Fakultät Statistik, die bereits in anderen Projekten erfolgreich kooperieren, eng zusammen. Mittels statistischer Verfahren untersuchten die Forscher*innen, welche Themen von den Faktencheck-Teams in den vergangenen fünf Jahren behandelt worden sind. Dafür haben sie rund 5.000 Texte mithilfe des Top-Modelling-Verfahrens LDA unterschiedlichen Themenfeldern zugeordnet, um aufzuzeigen, wann und zu welchen Themen besonders viele Faktenchecks produziert wurden.

Die Grafik zeigt, wie häufig bestimmte Themen seit 2018 in den Faktenchecks der GADMO-Partner vorgekommen sind. Deutlich zu erkennen ist, dass das Thema Corona die Teams ab Anfang 2020 stark beschäftigt und der Anteil mit Ausbruch des Kriegs gegen die Ukraine Anfang 2022 schlagartig weniger wird.

Verbreitungsmuster erkennen

Auffällig ist, dass die Faktencheck-Teams mit dem Aufkommen der Corona-Pandemie deutlich weniger Texte zu den Themen Kriminalität sowie Geld & Einkommen veröffentlicht haben. Das ist interessant, weil die Faktenchecks in beiden Bereichen häufig Behauptungen prüfen, bei denen Personen mit ausländischer Nationalität, Menschen mit Migrationshintergrund oder Geflüchtete vorkommen – eigentlich ein ‚Dauerbrenner‘ in Sachen Desinformation. Doch ab dem zweiten Quartal 2020 fällt der Anteil dieser beiden Themenfelder deutlich zugunsten der drei Covid-19-Themenfelder Corona, Impfung und Gesundheit & Medizin. Im ersten Quartal 2022 verdrängt dann der russische Krieg gegen die Ukraine einen Teil der Faktenchecks zu Corona. „Das sind Effekte, die wir auch aus dem Journalismus kennen und die sich hier wiederfinden“, sagt Elmer. „Unklar ist noch, warum sich die Anteile entsprechend ändern: Wurden mit Beginn der Pandemie weniger Behauptungen mit rassistischem oder fremdenfeindlichem Unterton verbreitet und sind Falschmeldungen zu Corona nach dem Überfall auf die Ukraine kein so großes Thema mehr? Oder hat sich lediglich der Fokus der Faktenchecker*innen verschoben? Das untersuchen wir derzeit.“

Eine weitere Frage, mit der sich die Forscher*innen beschäftigen, ist, wie sich Desinformationskampagnen verbreiten. „Da die Kampagnen strategisch gesteuert werden, liegt die Vermutung nahe, dass sie spezifische Spuren hinterlassen und andere Muster entstehen als bei der Verbreitung klassischer Nachrichten“, erklärt Elmer. „Wir hoffen, durch Datenanalysen diese Muster aufzeigen zu können, damit sie unter anderem bei der Früherkennung helfen können – wenn also ein Narrativ plötzlich auftaucht und sich verdächtig verbreitet.“ Das Austrian Institute of Technology in Wien entwickelt im Rahmen von GADMO medienforensische Werkzeuge, die mittels Künstlicher Intelligenz (KI) dabei unterstützen sollen, KI-erzeugte Manipulationen aufzudecken. Dabei stehen vor allem Bilder und Videos im Fokus sowie Ansätze, die auf lernenden Algorithmen basieren. Auf diese Weise können auch umfangreiche Datensätze auf Spuren von Manipulationen oder synthetisch erzeugten Inhalten untersucht werden.

Manipulierte Dateien zeigen häufig charakteristische Spuren, die auf eine Fälschung hindeuten und von medienforensischen KI-Werkzeugen aufgedeckt werden können. Das „Input Image“ stammt von der Seite this-person-does-not-exist.com. Die vom Austrian Institute of Technology entwickelte Software klassifiziert es korrekterweise als Fälschung.

Als Assistenzsystem in den Faktencheck-Redaktionen können KI-Anwendungen also eine große Hilfe bei der Recherche sein, doch die zugrundeliegende Technologie ist zugleich ein wachsendes Problem, da sie zunehmend zur Erstellung von Fakes eingesetzt wird. Mit generativen KI-Systemen lassen sich innerhalb kürzester Zeit Texte, Bilder oder Musik erzeugen – und die Ergebnisse werden immer besser. „Aktuell ist es hilfreich, auf Details zu achten: Artefakte wie beispielsweise sechs Finger entlarven ein Foto schnell als Fake. Doch die Systeme entwickeln sich mit einer enormen Geschwindigkeit weiter, sodass es bald wohl kaum noch möglich sein wird, Manipulationen und Fälschungen mit bloßem Auge zu erkennen“, prognostiziert Elmer.

Medienkompetenzen stärken

Aus diesem Grund werden Medienkompetenzen wie die Suche nach Informationsquellen und deren Bewertung immer wichtiger. Diese Fähigkeiten in der Bevölkerung zu stärken, ist ein weiteres Ziel von GADMO. „Quellen selbstständig recherchieren und einordnen zu können, ist eine Voraussetzung, um verantwortungsbewusst und kritisch mit Medien umzugehen“, sagt Elmer. Um Bürger*innen gegen Desinformationen im Netz zu wappnen und die Medienkompetenz in Deutschland und Österreich nachhaltig zu stärken, planen die beteiligten Faktencheck-Redaktionen verschiedene Kampagnen und Veranstaltungen und stellen Online-Kurse zum Selbststudium bereit.

„Quellen selbstständig recherchieren und einordnen zu können, ist eine Voraussetzung, um verantwortungsbewusst und kritisch mit Medien umzugehen.“  - Prof. Christina Elmer

Die schnelle und exponentielle Verbreitung von Desinformationen ist überhaupt erst durch digitale Plattformen und soziale Netzwerke möglich geworden. Deren Beobachtung ist daher die vierte Säule von GADMO. Auch wenn die Plattformbetreiber in den vergangenen Jahren verschiedene Maßnahmen ergriffen haben, bleiben manipulative, irreführende und falsche Inhalte etwa auf YouTube, Facebook, Instagram oder TikTok ein Problem und es ist noch viel Luft nach oben, so Mündges. Zudem sind die Plattformen verpflichtet, ihre Daten für Forschungsprojekte zugänglich zu machen, was sich in der konkreten Umsetzung jedoch sehr schwierig gestaltet.

2018 hat die Europäische Kommission daher einen Code of Practice on Disinformation veröffentlicht, der zunächst Empfehlungen und inzwischen Verpflichtungen enthält, wie Plattformen gegen Desinformation vorgehen und welche Informationen sie der Öffentlichkeit in diesem Rahmen bereitstellen müssen. Die Einhaltung des Kodex in Deutschland und Österreich zu überprüfen, ist ebenfalls Aufgabe von GADMO.

Ist der Kampf gegen Desinformation denn nicht eigentlich aussichtslos? „Er ist in jedem Fall äußerst rechercheaufwendig und zeitintensiv, aber er lohnt sich“, sagt Mündges. Und Elmer ergänzt: „Es ist wichtig, sich dem Thema zu stellen, auch wenn es sehr komplex ist, denn es betrifft letztlich die gesamte Gesellschaft.“ Extreme Verschwörungsanhänger*innen oder politische Randgruppen wird man durch Faktenchecks sicherlich nicht von ihrer Meinung abbringen, doch wenn all jene, die Zweifel haben und sich informieren möchten oder in ihrem Umfeld mit Desinformation konfrontiert werden und Antworten suchen, auf den Websites von GADMO und den anderen EDMO-Zentren fündig und allgemeine Medienkompetenzen geschult werden, ist schon viel gewonnen.

Text: Lisa Burgardt


Zu den Personen:

Prof. Christina Elmer vom Institut für Journalistik ist seit 2021 Professorin für Digitalen Journalismus/Datenjournalismus an der TU Dortmund. Nach dem Studium der Journalistik und Biologie an der TU Dortmund und einem Volontariat beim WDR hat sie unter anderem als Redakteurin für Datenjournalismus bei der dpa und im Team investigative Recherche des STERN gearbeitet. Seit 2007 war sie zudem als Dozentin für Online-Recherche und Datenjournalismus an verschiedenen Hochschulen tätig. Vor ihrer Berufung auf die deutschlandweit erste Professur für Digitalen Journalismus/Datenjournalismus hat Elmer acht Jahre bei DER SPIEGEL gearbeitet, wo sie unter anderem Leiterin des Ressorts Datenjournalismus und stellvertretende Entwicklungschefin war. Ihre Forschungsschwerpunkte sind die Weiterentwicklung des Datenjournalismus sowie Formate und Prozesse des Digitaljournalismus.

Portrait einer Frau mit Brille im Freien. © Privat
Portrait eines Mannes vor einem grünen Vorhang. © Privat

Stephan Mündges ist seit 2021 Manager des Instituts für Journalistik (IJ) an der TU Dortmund. Nach seinem Studium der Journalistik und Geschichte an der TU Dortmund und der Ruhr-Universität Bochum und einem Volontariat beim ZDF war er acht Jahre lang Autor und Redakteur in der Hauptredaktion Wirtschaft des ZDF. Neben weiteren Stationen beim ZDF und Newsguard Technologies war er von 2016 bis 2021 zudem als wissenschaftlicher Mitarbeiter am IJ tätig. Seine Forschungsschwerpunkte sind die digitale Transformation des Journalismus, Journalismus auf Drittplattformen sowie Desinformation und Falschnachrichten.

Dies ist ein Beitrag aus der mundo, dem Forschungsmagazin der TU Dortmund.

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